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Der heiße Tanz um den teuren Koks

Die NRW-Gießer trotzen Energiepreisen und Rohstoffknappheit mit Forschungsprojekt

Von Michael Diekmann
und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). »Deutsche Gießer liefern Spitzentechnologie für den Weltmarkt«, sagt Andreas Huppertz. Allerdings: Knappe Rohstoffe und teure Energie gefährden die Existenz der Branche. Die stellte in Bielefeld die ersten Ergebnisse des NRW-Forschungsprojekts zu alternativen Einsatzstoffen vor.

Das Bundesland NRW ist der wichtigste Standort für die international sehr starke deutsche Gießerei-Industrie. Mehr als ein Drittel der deutschen Produktion kommt aus NRW. Die Branche boomt. Allerdings sucht man nicht nur händeringend nach Personal für den »heißen Tanz am Kupolofen«, wie der Claas-Guss-Geschäftsführer Dr.-Ing. Andreas Huppertz bekräftigt, sondern auch nach neuen Wegen, aus der existenzgefährdenden Spirale aus Verknappung und Verteuerung heraus zu kommen. Huppertz, zugleich Landesvorsitzender ddes Vereins Deutscher Gießerei-Fachleute (VDG): »Die gute Konjunktur sorgt für volle Auftragsbücher, für Beschäftigungsausbau und mehr Innovationen dank Forschung und Entwicklung.«
Huppertz« Unternehmen Claas Guss (440 Beschäftigte, 70 Millionen Euro Umsatz) gehörte zusammen mit der Ennepetaler Gießerei Ischebeck zu den Säulen eines Forschugsprojektes, das vom NRW-Innovationsministerium gefördert wird, um den Standort NRW langfristig zu sichern. Allein bei Claas wurden im vergangenen Jahr mehr als 100 Tonnen »alternativ« gegossen und im Hinblick auf die Praxis getestet. Gestern diskutierten mehr als 60 Experten im Rahmen eines Symposiums die Resultate. NRW-Referatsleiter Dr. Reinhardt Michael: »Deutsche Spitzentechnologie wird es schaffen, bei Energiepreisen und Rohstoffen mit Entwicklungspotenzial gegenzusteuern.«
Die große Gefahr für die Spitzengießer aus der Region lauert in Fernost, vornehmlich in China. Während Deutschland längst kein Koksproduzent mehr ist, liefert China allein 30 Prozent des Weltmarktes. Und als nächstes, berichtet Claas-Betriebsleiter Jens Gründling, planen die Chinesen Koks-Zölle: »Das verteuert den Energieeinkauf für uns immer weiter.« Weil das Material auch noch knapp wird, hängt zuweilen eine ganze Produktion an Vorlieferanten.
Die Kosten für den Materialeinsatz haben sich in nur vier Jahren von 120 auf 300 Euro pro Tonne Guss verteuert. Weil aber nicht nur Strom und Koks permanent teurer werden, sondern obendrein auch noch die Rohstoffe wie Schrott knapp, sehen Unternehmer wie Andreas Huppertz die Produktion in Deutschland ernsthaft in Gefahr: »Die 30 Prozent Tonnagesteigerung in vier Jahren waren streckenweise kaum leistbar, weil Material fehlt.« Auch hier kaufen die Chinesen auf dem Weltmarkt alles verfügbare Altmaterial zusammen. Fazit: Früher brauchte der Claas-Einkäufer einen Tag pro Woche, kaufte im 30-Kilometer-Radius, heute fährt er drei Tage 400 Kilometer weit.
Dabei ist die Gießerei eine der erfahrendsten Branchen im Recycling, aber auch extrems abhängig. Gefragt ist deshalb neue Technlogie für Fahrzeugbau, Maschinenbau und Anlagenbau. Mit Hilfe computergesteuerter CAD-Entwicklung soll möglichst viel Werkstück aus wenig Material geschöpft werden, müssen Qualitätsschwankungen beim Koks abgestellt und Versorgungssicherheitengewährleistet werden. Huppertz: »Insbesondere im Bereich der effektiven Energieausnutzung stehen wir bei Fragen wie der Wärmerückgewinnung erst ganz am Anfang.« Und bei der Regelung internationaler Warenbeschaffung und chinesischem Zollverhalten setzen deutsche Gießer nicht zuletzt auf die ganz große Politik.

Artikel vom 09.05.2007