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Alte Lebenserfahrung

»Eigentümlich: Nichts gibt uns die Geschichte isoliert, immer überfällt sie uns mit allem zugleich.«

Leitartikel
Ist Horst Köhler klar mit Klar?

Der eine
oder
andere Zug


Von Rolf Dressler
Wenn Maßstäbe von Recht und Moral total verrückt werden, müssen die Urheber solcher Verschiebungen durchaus nicht als verrückt eingestuft werden - nicht einmal als ein bisschen plempem.
Vielmehr verfügen sie oftmals über einen kühl bis eiskalt arbeitenden Verstand, drehen Widerstreitern das Wort im Munde um und finden dafür häufig sogar auch noch klammheimlichen oder ganz offenen Beifall.
Dann verschwimmen die Bilder, vermeintlich betonfest verlässliche Orientierungsanker verrutschen, Unrecht erscheint als Knetmasse beinahe wie in unschuldiger Kinderhand. Und schon erliegen weite Teile der Bürgerschaft dem verquasten Meinungsführer-Gerede. Kein Wunder, wenn man in einem schwülstigen Zeitungsbeitrag unter dem Titel »Rote Armee Fraktion privat« beispielsweise das Folgende zu lesen bekommt: Der zigfache Terror-Mörder Christian Klar erscheine vielen inzwischen gleichsam als alter Bekannter - jedenfalls sei »das, was gegenwärtig mit ihm geschieht, ein Fall von angewandter Geschichtspolitik, von rückwirkender Verwandlung des Politischen ins Persönliche«.
Aha, denkt da der Unbedarfte, mit dem entsetzlichen deutschen Terror-Herbst der 1970er Jahre wenig oder gar nicht Vertraute, also war die »RAF« wohl doch keine (Baader/Meinhof-)»Bande«, sondern eher eine polit-revolutionäre Kampfgruppe mit dem eigentlich hehren Kernziel, der verhassten, finster kapitalistischen Staatsordnung ein für allemal den Garaus zu machen.
Freilich, wo gehobelt, pardon, gebombt und aus dem Hinterhalt geschossen wird, fallen natürlich immer auch Späne. Also feuerten »RAF«-Killer-Kommandos unter anderem dem Generalbundesanwalt Siegfried Buback und dessen beiden Begleitern aus nächster Nähe 15 Kugeln in Kopf und Brust, richteten den völlig wehrlosen Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto an dessen Hauseingangstür mit ganzen Kugelsalven hin und jagten dem zuvor entführten Arbeitgeber-Präsidenten Hanns-Martin Schleyer und seinen vier Begleitern insgesamt 117 Geschosse in Kopf und Körper.
Darüber aber, wer von ihnen die nach Jahrzehnten mindestens sieben noch immer nicht aufgeklärten Terrormorde begangen hat, schweigen sich sämtliche RAF-Genossen bis heute gespenstisch monströs aus. Die bereits entlassenen genauso eisern wie die noch einsitzenden.
Darin sehen sie sich sogar bestärkt: Selbst das ZDF-»Heute-Journal« erklärte den mindestens 5-fachen »RAF«-Mörder Christian Klar am Wochenende sinnigerweise zum »Ex«-Terroristen. Der Mann indes hängt noch immer alten Wahnideen an, bereut seine Untaten offenbar nicht und ringt sich nicht einmal zum Schein zu einer Entschuldigung gegenüber den Hinterbliebenen der Opfer des »RAF«-Terrors durch.
Aber bei »Ex«-Opfern braucht man sich ja nicht zu entschuldigen... Zynismus pur.
Welchen Zug wird der Bundespräsident tun?
Den einen - oder den anderen?

Artikel vom 07.05.2007