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Die Westfalen hassten Napoleon

Preußenmuseum beschreibt den Herrscher und die Folgen seiner Politik

Von Dietmar Kemper
Minden (WB). Von 27 000 westfälischen Soldaten kehrten nicht mal 300 von Napoleons Russlandfeldzug 1812 zurück. Ein ganzer Landstrich hasste den Kaiser der Franzosen, dessen Person und Politik das Preußenmuseum Minden eine umfassende Ausstellung widmet.
Auf diesem Bild stellt der Künstler Innocent-Louis Goubaud (1811) Napoleon als entschlossene Herrschergestalt dar. Im Dezember 1804 ließ er sich in Paris zum Kaiser krönen. Fotos: Stefan Hörttrich
»Napoleon: Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser« heißt die Schau, die von Sonntag bis zum 1. Juli zu sehen ist und 300 000 Euro kostete. Unter den 500 Exponaten befinden sich 200 Stücke aus dem Besitz Napoleons, seiner Familie und Nachfahren der damaligen Hofgesellschaft, sagte Museumsdirektor Veit Veltzke gestern bei der Vorbesichtigung. Viele der Gold- und Silberarbeiten, Porträts und Porzellanerzeugnisse aus berühmten Manufakturen wie Sèvres, Nast und Darte seien zum ersten Mal nach Deutschland ausgeliehen worden.
Die Ausstellung verbindet Politik- mit Kunst- und Landesgeschichte. Sie beschreibt den Menschen Napoleon, die Kultur des Empire und die Spuren, die der Herrscher an Rhein und Weser hinterließ. Dass Westfalen und das Rheinland gleichzeitig betrachtet und die unterschiedlichen Reaktionen auf den Eroberer herausgearbeitet werden, mache neben der Güte der Exponate das Besondere der Ausstellung aus, betonte Veltzke.
Mehr als 20 Jahre dauerte die französische Herrschaft am linken Niederrhein, lange genug, dass sich die Reformen (Gleichheit vor dem Gesetz, Judenemanzipation, Auflösung der Zünfte) festsetzen konnten. Die Bevölkerung erhielt eine moderne Verwaltung, Fabrikanten in Aachen, Köln oder Krefeld profitierten von der Nähe zu den Nachbarn, von Aufträgen aus Paris. Das Königreich Westfalen mit Napoleons Bruder Jérôme an der Spitze existierte lediglich sieben Jahre, von 1806 bis 1813. Die Süße der bürgerlichen Freiheit wurde der Bevölkerung durch hohe Kriegskontributionen und die Verschwendung am Hof in Kassel vergällt. »Die Westfalen fühlten sich ausgeplündert«, sagte Veltzke. Im Gegensatz zum Rheinland habe es hier keinen Veteranenverein gegeben, der das Andenken an Napoleon nach dessen Tod in der Verbannung auf Sankt Helena pflegte.
»Napoleon war gleichermaßen ein umstürzender Neuerer wie ein moderner Militärdiktator mit Geheimpolizei«, beschrieb Historiker Veltzke den 1,68 Meter kleinen Korsen, der sich jeden Tag bis zu 18 Stunden lang den Regierungsgeschäften widmete. Persönlich war er nie in Westfalen, die Hilfstruppen aus dem rechtsrheinischen Herrschaftsgebiet, das er zum Königreich Westfalen und Großherzogtum Berg formte, schickte er in militärische Himmelfahrtskommandos, um französische Einheiten zu schonen.
Schlachtfeldfunde aus dem belgischen Waterloo, wie der von der Kanonenkugel aufgerissene Brustpanzer, symbolisieren das Ende des Mannes, der Europas Landkarte neu schrieb, aber nicht dauerhaft verändern konnte. Die in den besetzten Städten aufgestellten Freiheitsbäume wurden gefällt, die Reformen zurückgedreht. Mit seinem Code Civil, dem ersten modernen Gesetzbuch, behielt Napoleon Recht: »Waterloo wird das Andenken an die gewonnenen Schlachten auslöschen, aber nichts kann meinen Code Civil zerstören.«
Zur Ausstellung sind ein Aufsatzband (Böhlau-Verlag, 34,90 Euro) und der Jugendroman von Veit Veltzke »An der Seite Napoleons: Die Abenteuer eines rheinischen Jungen« (Böhlau, 13,90 Euro) erschienen. Der Eintritt kostet sechs Euro, das Preußenmuseum erwartet 20 000 Besucher.
www.napoleon-ausstellung.de

Artikel vom 04.05.2007