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Literarische Agenten in Big Apple

In den Semesterferien hat Farina Kohl sechs Wochen in New York verbracht und in dieser Zeit ein Praktikum bei zwei literarischen Agenturen gemacht: der Kirsten Manges Literary Agency und der Jenny Meyer Literary Agency. Sie berichtet über ihre Erfahrungen in einer Branche, in der Kunst und Ökonomie zusammen kommen.

Ein Manuskript zu lesen ist immer etwas besonderes. Man kommt sich wichtig vor. Und verantwortungsvoll. Schließlich könnte man den nächsten Grisham in den Händen halten. Ein Manuskript zu lesen und über sein Potenzial zu entscheiden ist aber nicht so kompliziert, wie man es sich vorstellt.
»Vergiss all die Theorien, die Du im Studium gelernt hast! Der Bauch entscheidet!« Das war die erste Lektion, die Kirsten Manges, Inhaberin der Kirsten Manges Literary Agency, mir beigebracht hat. Manges betreut als literarische Agentin Schriftsteller, die sich auf dem Weg zur Publikation befinden. Sie vermittelt diese an Verlage, hilft ihren Klienten bei der Öffentlichkeitsarbeit und dabei, die Film- und Audiorechte zu verkaufen. Zuvor muss Manges aber selbst überzeugt von dem Erfolg des Buches sein. Ob ein Buch auf einem Markt bestehen kann, erkennt sie schnell: »Nach zehn Seiten Manuskript weiß man, ob ein Buch gut wird. Wenn ich als erster Leser vor Langeweile einschlafe, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich nicht der einzige bleibe.«
Sie vertraut ganz ihrem Instinkt. Wer als literarischer Agent nicht rasch Entscheidungen treffen kann, verschwendet kostbare Zeit. Schließlich ist die Buchbranche schnelllebig. Der amerikanische Büchermarkt ist anders als der deutsche: Die Amerikaner lesen viel mehr nichtfiktionale Bücher, vor allem Ratgeber und Lebenshilfen gehören zu den Bestsellern. Fiktionale Bücher werden weniger gekauft. Dafür gibt es hier eine Handvoll extrem populärer Autoren.
Bei Kirsten Manges habe ich viele Manuskripte gelesen, zu denen ich in Berichten meine Einschätzung abgegeben habe. Diese wurden dann mit der literarischen Agentin besprochen. Dabei war Manges sehr geduldig und hat auch meine außergewöhnlichsten sprachlichen Eskapaden mit einem Lächeln ertragen.
Die zweite Hälfte der Zeit habe ich bei der Jenny Meyer Literary Agency gearbeitet. Ihre Agentur befindet sich in den gleichen Räumlichkeiten wie die Kirsten Manges Literary Agency. Da die Mieten in New York alle vernünftigen Maße sprengen, sind Bürogemeinschaften unter kleineren Unternehmen üblich. Bei Jenny Meyer habe ich viel über den internationalen Büchermarkt gelernt. Sie ist die Vermittlerin zwischen US-amerikanischen und internationalen Verlagen. »Wenn in Deutschland John Grisham, John Irving und Stephen King zu den beliebtesten Autoren gehören, ist das möglich, weil literarische Agenten wie ich die US-amerikanischen Lizenzen dieser Autoren an deutsche Verlage verkauft haben«, erklärte mir Jenny Meyer an meinem ersten Praktikumstag.
Das Zustandekommen des Lizenzhandels läuft in den meisten Fällen so ab: Wenn ein US-amerikanischer Verlag Interesse daran hat, ein erfolgreiches Buch aus seinem Sortiment auch international zu publizieren, wendet er sich an Jenny Meyer. Sie verfügt über unzählige Kontakte zu internationalen Verlagen. Sie kennt sich mit den unterschiedlichen Buchmärkten in den verschiedenen Ländern aus und bereist alle großen Buchmessen der Welt. Sie hat die Erfahrung und Kompetenz zu erkennen, für welche Verlage in welchen Ländern es lukrativ sein kann, das Buch in ihr Programm aufnehmen. Das erspart den US-amerikanischen Verlagen Zeit und Mühe der eigenen Recherche.
Bei Jenny Meyer habe ich viel im Schriftverkehr mitgearbeitet. Ständig kamen neue Anfragen herein, Verträge wurden abgeschlossen und Reisen mussten organisiert werden. Meine sprachlichen Fähigkeiten haben sich vor allem verbessert, indem ich an Präsentationen mitgearbeitet habe.
Da beide Agenturen sehr wenige Mitarbeiter haben, wurde ich stark eingebunden. Das war eine sehr gute Möglichkeit, die Tätigkeit eines literarischen Agenten kennen zu lernen. Ich konnte an vielen Projekten mitarbeiten und habe interessante Aufgaben erledigt. Schnell wurde mir klar, dass literarische Agenten außergewöhnlich viel Idealismus und Euphorie für ihren Beruf mitbringen müssen. Literatur ist für sie eine Leidenschaft. Dies kompensiert den vergleichsweise geringen Verdienst, das hohe Arbeitspensum und die Abhängigkeit von einem schwer einschätzbaren Markt. Dennoch: ein Traumberuf!
Farina Kohl

Artikel vom 08.05.2007