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Dazu kam noch ein Kraftverstärker für Notfälle. Die nötigen Hilfsaggregate waren zwar Platz sparend und überraschend leicht gebaut, doch alles zusammengenommen ergab sich ein voluminöser Packen, der die freie Bewegung erschwerte.
Es dauerte nicht lange, und sie standen neben dem Schiff versammelt. Gilbert war der Schnellste gewesen, offenbar hatte er den Ehrgeiz, als Erster den Marsboden zu betreten, und niemand verwehrte es ihm. Die Schleusenkammer war klein, und so dauerte es nicht lang, die Luft hinauszupumpen und anschließend wieder hineinzuleiten. Dann öffnete sich die innere Tür, und der Nächste war an der Reihe, das Schiff zu verlassen und seinen ersten Schritt auf dem Roten Planeten zu tun.
Währenddessen konnten die Zurückgebliebenen Gilbert durch die Luken hindurch bei den ersten Gehversuchen auf der Marsoberfläche beobachten - ein erheiterndes Schauspiel, denn er war recht wackelig auf den Beinen. Doch dann erhob er sich mühsam - und riss die Arme triumphierend hoch. Jetzt war es klar: Er wusste sehr gut, dass er Zuschauer hatte, und chargierte wie ein Schmierenkomödiant.

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ald waren alle ins Freie getreten, und so merkte jeder am eigenen Leib, dass es nicht so einfach war, mit der verminderten Schwerkraft fertig zu werden. Selbst aufrecht dazustehen musste geübt werden, und bei den ersten Schritten sah keiner besonders elegant aus. Immer wieder verlor der ein oder andere den Boden unter den Füßen, doch glücklicherweise befanden sie sich gerade auf einer mit lockerem Sand bedeckten Stelle, und so bestand wenigstens keine Gefahr, die Anzüge zu beschädigen.
Jedenfalls stellten alle fest, dass sie sich schnell den ungewohnten Bedingungen anpassten, dass sie an Standfestigkeit gewannen, sich an die veränderte Sichtweise gewöhnten, sich mit zunehmender Sicherheit bewegten und auch das Tempo ohne Schwierigkeiten erhöhen konnten. Während einige noch mit Bewegungsübungen beschäftigt waren, wandten andere ihre Aufmerksamkeit der Umgebung zu. Immerhin war es Neuland, auf dem sie sich befanden.
Alf sah sich den Boden etwas genauer an. Er war mit Sand bedeckt, der aus millimetergroßen Körnchen bestand, und als Alf einige davon in der Handfläche seines Handschuhs zu sammeln versuchte, stieg Staub auf, der von einem bisher unbemerkt gebliebenen Luftzug davongetragen wurde...

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lf musste schmunzeln, als er seinen Denkfehler bemerkte: Es war natürlich kein Luftzug, sondern eine Strömung der dünnen Marsatmosphäre. Vorsichtig, um nicht allzu viel von den feinen Massen aufzuwirbeln, grub Alf ein wenig tiefer in die Oberflächenschicht hinein und stellte fest, dass sie sich schon nach fünf Zentimetern verfestigte. Er stieß auf gerundete, leicht miteinander verbackene Steine, denen es zu verdanken war, dass man hier trotz der überdeckenden Sandfläche soliden Untergrund unter den Füßen hatte und nicht in lockere Massen einsank. Jetzt war ihm verständlich, warum man diese langweilige Ebene als Landeplatz ausgesucht hatte.
Alf spürte eine Berührung am Ärmel, zugleich hörte er eine Stimme im Lautsprecher. »Dort drüben... ich habe etwas gefunden, komm mit!« Es war Linette, die ihn ein Stück in die Wüste hinausführte. Dort blinkte etwas am Boden: kleine Steinchen, die aus einer grünlich-gelben glasigen Masse bestanden und über den Sand gestreut schienen.
»Interessant«, sagte Alf. »Ich glaube, ich weiß, was das ist...«
Es war ein Ruf von Ramses, der die beiden von Linettes Fund ablenkte. Als sie sich versammelt hatten, fragte Gijon: »Steigen wir jetzt wieder ein?«

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amses schüttelte den Kopf, doch dann fiel ihm ein, dass diese Geste von den anderen kaum zu bemerken war. »Noch nicht«, sagte er. »Wir haben doch noch einiges vor - schon vergessen?« Seinem Tonfall war Tadel anzumerken.
Es stimmte ja, es gab noch etwas für die Energie- und die Wasserversorgung zu tun. Sowohl der Reaktor wie auch das Bohraggregat waren nur von außen zu erreichen, schließlich wurden sie auch nur im Freien eingesetzt. Die kalte, mit Sonarenergie gezündete Fusion, die die Energie für das Aufladen der Akkus spendete, erzeugte eine starke Neutronenstrahlung, und deshalb musste die Anlage mindestens 50ÊMeter außerhalb der Reichweite von Menschen aufgestellt werden. Gilbert, der sich bei technischen Aufgaben als recht geschickt erwiesen hatte, entriegelte den Verschluss des Frachtraums an der Außenseite, und die Schutzbedeckung faltete sich zusammen und glitt nach oben. Henrich und Ramses traten vor und hoben den Reaktor heraus. Er stand auf Rädern, die Ballonreifen mussten erst aufgepumpt werden. Dann aber konnten sie ihn wie einen Handwagen über den Boden ziehen, und was sich bei ihren Übungen als äußerst Kräfte zehrend erwiesen hatte, fiel jetzt infolge der verminderten Gravitation doch erheblich leichter.

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uch die anderen Vorbereitungen gingen störungsfrei vonstatten, schließlich hatten sie diese Dinge ja lange genug geübt. Das Kästchen mit den Akkus stand bereit und war im Nu mit den Anschlüssen des Reaktors verbunden. Dann zogen sie sich zurück, und Gijon gab über Funk den Ultraschallimpuls aus, der die Kernfusion einleitete. Nun brauchten sie nur noch zu warten, nicht mehr als 10 oder 15ÊMinuten, um sich vom Erfolg des Versuchs zu überzeugen. Der Prozess verlief ordnungsgemäß, die Akkus ließen sich aufladen. Die Geräte funktionierten also, und sie konnten sie wieder zusammenpacken und verstauen.
Nun war das Bohraggregat an der Reihe.
»Gibt es denn hier Wasser?«, fragte Henrich. Er wandte sich an Gilbert, denn dieser hatte sich schon während der Trainingszeit auffällig oft mit den Geräten zur Wasserförderung beschäftigt und galt in der Gruppe als Experte.
»Der Platz ist nicht als Wasserstelle angegeben«, sagte er, »aber wenn man tief genug gräbt, stößt man früher oder später immer auf Eis führende Schichten, und das genügt uns ja hier, um die Funktion des Geräts zu überprüfen.«
Henrich wollte am liebsten unverzüglich mit dem Versuch beginnen, doch Gijon mischte sich ein. »Bisher haben wir kaum Wasser verbraucht - die Vorratsbehälter sind voll. Ich glaube, wir können uns die Erprobung sparen.«
Das kam bei den anderen gut an, die offensichtlich keine Lust hatten, sich weiter mit langwierigen Vorbereitungen zu befassen.
»Dann können wir ja wieder einsteigen«, schlug Linette vor, die sich in ihrem Anzug sichtlich unwohl fühlte. Schon während der Trainingszeit war sie durch schicke Kleider aufgefallen.
Ramses stellte fest, dass die Mehrheit einverstanden war, und verzichtete auf Protest, und auch Alf fügte sich.

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ie Evakuierung des Schleusenraums ließ sich nicht beschleunigen, und auch die Zeit des Aufenthalts in der Kammer ließ sich nicht verkürzen. Im Inneren wurden die Anzüge abgesprüht und so vom Staub befreit. Die ölige Flüssigkeit enthielt Desinfektionsmittel für den Fall, dass es hier auch Bakterien geben sollte, gegen die man sich schützen musste. Dann musste unverbrauchte Luft in die Druckkammer eingeleitet werden, und erst danach ließ sich die Außentür öffnen.
Es dauerte eine Viertelstunde, bis alle durchgeschleust waren. Ramses war der Letzte, und als er innen ankam, sah er, dass sich Alf bereits seines Anzugs entledigt hatte und am Schaltpult saß. So streifte auch er rasch die Hüllen ab und trat zu ihm. »Hat sich jemand von der Erde gemeldet?«, fragte er. Doch die Nachrichten, die auf dem Bildschirm auftauchten, waren alt und überholt, in den letzten Stunden waren keine mehr eingetroffen.
»Das ist merkwürdig«, sagte Ramses, »ich habe doch dringend um Antwort gebeten. Es sieht fast so aus, als wenn die Verbindung unterbrochen wäre.« Die anderen hatten die vergeblichen Versuche verfolgt, und allmählich dämmerte es ihnen, dass sich damit eine unangenehme Situation andeutete. Sie waren es gewohnt, über jeden nötigen Schritt unterrichtet zu werden, und das war es auch, was ihnen ein Gefühl der Sicherheit gab, aber auch eine gewisse Unbekümmertheit - man würde sie bestimmt darauf aufmerksam machen, wenn es etwas Wichtiges zu tun gab. Doch was würde geschehen, wenn die Anweisungen ausblieben?
»Das hat sich sicher jemand ausgedacht, um die Sache interessanter zu machen«, meinte Henrich.

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arauf begann eine Diskussion, die aber bald unterbrochen wurde: durch einen Hustenanfall - es war Linette, die sich etwas zurückgezogen hatte und auf ihrem Platz auf der Bank saß. Sie kämpfte mit rotem Gesicht gegen den Kitzel im Hals an, doch er überwältigte sie immer stärker.
Sylvie hatte ein Saugfläschchen mit Wasser gefüllt und forderte Linette auf, einige Schlucke zu nehmen. Doch es nützte nichts - kurze Zeit darauf setzte der Husten wieder ein.
Alle standen ratlos um Linette herum. »Was hast du da?«, fragte Gilbert, dem aufgefallen war, dass Linette etwas in eine Papierserviette Eingewickeltes in der Hand hielt, das sie bei aller Abwehr gegen den Hustenanfall nicht losließ. Nun wurden auch die anderen aufmerksam, und Sylvie ergriff Linettes Hand und holte das kleine Bündel heraus. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 08.05.2007