07.05.2007
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Die ersten visuellen Eindrücke gewannen die Insassen des Raumschiffs durch eine Projektion, und nach dem, was man ihnen beigebracht hatte, würden sie auch künftig auf diese Art der Sicht angewiesen bleiben. Die altmodischen Luken waren aus Sicherheitsgründen recht klein. Einer fremdartigen Welt überantwortet, aber stets durch technische Filter von ihr isoliert. Und trotzdem empfanden sie die Bilder, die sich ihnen offenbarten, anders als sonst: stärker, nachhaltiger, zwingender.
»Aufgepasst, ihr Schlafmützen, wir setzen zur Landung an«, rief einer von ihnen, und tatsächlich war zu erkennen, dass sich der Ausschnitt langsam verengte. Der Eindruck, den der Bildschirm vermittelte, wurde durch das Gefühl eines sanften, ganz langsam stärker werdenden Andrucks bestätigt.
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»Es wird bald wieder hell«, sagte Alf. »Wir bewegen uns in westliche Richtung und holen den vergangenen Tag ein.«
Der Landeplatz, schon vor Anbruch der Reise auf Grund der Karten ausgewählt, wurde mit Radar angepeilt, und das Echobild der elektromagnetischen Wellen war genauer als der den Menschen vorbehaltene Sichteindruck. Der Scheinwerfer hatte sich automatisch eingeschaltet, und so huschte nun ein Lichtfleck über einen leicht holprig anmutenden, aber sonst ziemlich ebenen Boden. Da und dort lagen ein paar Steine herum, sonst gab es keinerlei Hindernisse. Diese Ansicht bot sich einige Minuten lang, bis ein letzter Stoß aus den Düsen den Flugkörper zum Aufbäumen brachte, worauf er einen oder zwei Meter absackte und auf schwankenden Stelzfedern aufsetzte.
Das Raumschiff war gelandet! Diesen Augenblick hatte Alf sich vorher schon oft ausgemalt, was konnte er ihm noch Unerwartetes bieten, und nun erlebte er die Ankunft zu seiner eigenen Überraschung doch mit Staunen und Ergriffenheit.
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Jetzt blinkte auf dem Bildschirm ein grünes Licht. Die Durchmusterung war beendet, die Situation geprüft und für in Ordnung befunden worden, und das bedeutete, dass die Ankömmlinge nun endlich ihre Anzüge ablegen durften. Sie klappten ihre Liegen zurück, verstauten die zusammengefalteten Hüllen in den Fächern an der Decke, und bald saßen sie auf den Bänken beisammen, die längs der Wände ausgeklappt worden waren. Sie waren gepolstert, eine beachtliche Annehmlichkeit, die man ihnen während des Trainings vorenthalten hatte, und in den Stoff waren Klettstreifen eingewebt, die besseren Halt gewähren sollten. Ein befreiendes Gefühl, das sie wohl alle ähnlich empfanden: von den Hüllen erlöst zu sein, an die sie sich zwar schon gewöhnt hatten, die sich aber auf die Dauer doch als recht lästig erwiesen. Vor allem war es die geringe Schwerkraft, rund 30ĂŠProzent von jener der Erde, die sie ihre Situation als dauernden Schwebezustand empfinden ließ, als hätten sie einen leichten Rausch - was keineswegs unangenehm war. Als sie später ihre Rationen auspackten, merkten sie allerdings, dass die ungewohnten physikalischen Bedingungen auch ihre Tücken hatten, denn beim Hantieren mit den Paketen, in denen die Nahrungsmittel verstaut waren, kostete es sie Mühe, die einzelnen Teile herauszunehmen und an die richtige Stelle zu rücken. Ein Glas stieg zur Decke empor, Bestecke glitten über die Tischplatte und fielen zu Boden - sie mussten sich erst daran gewöhnen, alles Bewegliche weniger kräftig als sonst anzufassen.
Erstaunlich, dachte Alf, er hatte nicht erwartet, dass man die verringerte Schwerkraft so gut simulieren konnte. Und daran schloss sich die Frage an, warum man sie nicht schon während des Trainings mit diesen Verhältnissen vertraut gemacht hatte. Doch wahrscheinlich war das nicht so wichtig, mit diesen Schwierigkeiten wurde man bald fertig, sie gaben Gelegenheit zu Gelächter und verstärkten die belebende Wirkung, die von der neu gewonnenen Leichtigkeit ausging. Und all das wurde durch den anbrechenden Tag noch unterstrichen... es war zwar nur wenig Licht, das durch die kleinen Luken ins Innere drang, aber dafür konnte man die Außenwelt viel lebensechter auf dem Bildschirm beobachten - der Effekt hatte eine überraschend starke Wirkung: als hätte jemand die Theaterbeleuchtung voll eingeschaltet, und das von der Bühne abgestrahlte Licht fand nun seinen Widerschein im Zuschauerraum. Das alles war eindrucksvoll, aber eigentlich nichts Besonderes. Das Besondere daran war etwas anderes: die Farbe des Himmels. Er war rot!
Ihre Mahlzeiten waren von Beamten des Amtes für Ernährung und Medizin zusammengestellt worden und enthielten vermutlich eine besondere Mischung aus Kräfte spendenden Konzentraten, mineralischen Bestandteilen, Spurenelementen, Ballaststoffen. Dazu kamen noch Präparate der Pharmazie, deren Wirkungsweise für Laien nicht durchschaubar war. Diese Kombination ergab nicht gerade ein Festessen für Feinschmecker, doch vermutlich hatte die lange Ruhezeit den Appetit angeregt, und so aßen und tranken alle mit Genuss. Und danach stand die Frage im Raum: »Was ist für heute geplant?«
»Am besten, wir brechen so bald wie möglich auf«, sagte Gijon, »wir wollen doch keine Zeit verlieren.«
»Du hast es aber eilig«, erwiderte Henrich. »Vorher gibt es doch noch einiges zu tun.«
»Vor allem anderen sollten wir uns in der Zentrale melden«, meinte Ramses. Er trat ans Pult, schaltete den Sender ein und sprach ins Mikrophon: dass sie gut angekommen seien. »Ich nehme an, dass man uns Anweisungen gibt.«
»Auf die Antwort werden wir eine Weile warten müssen«, sagte Gijon. »Inzwischen können wir ja schon mit den Vorbereitungen anfangen.«
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»Die Anzüge«, sagte Alf. »Wie müssen prüfen, ob sie in Ordnung sind, und zwar draußen, in der dünnen Atmosphäre und in der Kälte.«
»...und ausprobieren, wie man sich mit ihnen bewegt«, warf Sylvie ein. Sie erinnerte sich an die Erlebnisse beim Essen, an die Folgen der verminderten Schwerkraft. Etwas Ähnliches konnte ihnen bei den ersten Schritten über die Marsoberfläche auch passieren.
Ramses stimmte zu. »Richtig, doch da draußen gibt es ja noch anderes zu tun, bevor es richtig losgeht. Die Förderung von Wasser beispielsweise, die Geräte sind ja auf dem Mars noch nie eingesetzt worden. Und auch den Reaktor sollten wir einmal probeweise in Gang setzen.«
Sein Vorschlag stieß zwar nicht gerade auf begeisterte Zustimmung, doch schließlich waren sich alle darüber einig, dass man sich vor dem Aufbruch mit den wichtigsten technischen Verrichtungen in der Praxis vertraut machen musste.
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Eigentlich waren es viel mehr als wärmende Hüllen: Es waren raffiniert ausgeklügelte Lebenssysteme, die für die Aufrechterhaltung des Luftdrucks, für atembare Luft, für eine wohlausgewogene Wärmeregulation und für manches andere sorgten.
Artikel vom 07.05.2007