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Auf dem Weg in die Weltwirtschaft

Harald Grefe warnt vor Instabilität in der Türkei

Bielefeld (WB). »Die Trennung von Religion und Staat ist Voraussetzung für die Integration in die Weltwirtschaft«, stellt Harald Grefe, Außenhandelsgeschäftsführer der IHK Ostwestfalen, im Gespräch mit WESTFALEN-BLATT-Redakteur Bernhard Hertlein fest. Trotz der aktuellen Entwicklung setzt die Wirtschaft große Hoffnungen in die Türkei. Vom 21. Mai an steht sie im Mittelpunkt der 6. IHK-Begegnungswoche.
Harald Grefe ist stellvertrender IHK-Hauptgeschäftsführer.

Die Hannovermesse wählt die Türkei als Partnerland. Der Bundesverband mittelständischer Unternehmer veranstaltet in Soest einen Türkei-Tag. Die IHK wählt den Staat am Bosporus als Partnerland für ihre 6. Begegnungswoche. Nimmt man die Kultur hinzu, so erhielt mit Örhan Pamuk 2006 ein Türke den Literaturnobelpreis. Und 2008 ist die Türkei Partner der Frankfurter Buchmesse. Woher kommt das große Interesse an der Türkei?Grefe: Mit seinen mehr als 70 Millionen Menschen ist die Türkei schon wegen ihrer puren Größe ein sehr interessanter Markt. Die Wirtschaft des Landes befindet sich seit Jahren auf Wachstumskurs. Seit 2001 hat das türkische Bruttosozialprodukt jährlich um mindestens fünf Prozent zugelegt. In dem gleichen Zeitraum hat sich der Export in von Deutschland in die Türkei von 5,9 auf 14 Milliarden Euro weit mehr als verdoppelt.
Neben der wirtschaftlichen Entwicklung gibt es noch andere Gründe für das große Interesse an der Türkei. Da ist natürlich der hohe Bevölkerungsanteil türkischstämmiger Einwohner. In Ostwestfalen sind etwa 2500 türkischstämmige Unternehmer Mitglieder unserer Industrie- und Handelskammer. Mit 14 Milliarden Euro rangiert die Türkei auf Platz 16 unserer Export-Hitliste. Zugleich ist Deutschland der größte Importeur türkischer Waren. Umgekehrt hat Russland aufgrund seiner Gaslieferungen Deutschland als größter Importeur in der Türkei abgelöst.

Auf welche Handelsströme stützt sich der Türkei-Handel?Grefe: Aus Deutschland werden vor allem Maschinen und Anlagen, Kraftfahrzeuge und -teile, Kunststoffprodukte, Elektrotechnik und sogar Textilien exportiert. Umgekehrt exportiert die Türkei vor allem Bekleidung, Kraftfahrzeuge, Maschinen, Eisen, Stahl und Früchte. Seit 1996 leben die Europäische Union und die Türkei in einer Zollunion, dass heißt, die Zölle für fast alle Produkte sind abgeschafft. Das hat den Handelsbeziehungen enormen Schwung verliehen.

  Wer fertigt in der Türkei? Grefe: Bislang nutzen vor allem einige Bekleidungshersteller aus OWL den Standort zur Produktion. Das sorgt jetzt, da das Welttextilabkommen ausgelaufen ist, am Bosporus für ein paar Probleme.

Wie sehr ist Ostwestfalen in der Türkei engagiert?Grefe: Etwa 400 Unternehmen unterhalten regelmäßige Handelsbeziehungen mit der Türkei. 100 haben dort sogar eigene Vertriebsniederlassungen. Diese Zahlen sind sicher noch ausbaufähig. Die Türkei-Begegnungswoche wird dazu beitragen, dass neue Kontakte entstehen.

Welche Besonderheiten sollten deutsche Unternehmer berücksichtigen, wenn sie Kontakte in die Türkei suchen?Grefe: Die Türkei ist ein zwar westlich geprägtes, aber immer noch islamisches Land. Daraus folgt, dass man als Gast vor Ort auf die islamischen Sitten Rücksicht nehmen sollte. Ansonsten sollte man Religion und Politik nicht als erstes thematisieren. Viele Türken mögen Deutschland. Vor allem in der Wirtschaft nimmt die Westorientierung noch zu.

Welche Rolle spielen die vielen hier lebenden türkischstämmigen Mitbürger?Grefe: Sie könnten Deutschland sprachlich und wegen ihrer Kontakte in die Türkei sehr hilfreich sein. Dieses Potenzial wird allerdings noch zu wenig genutzt. Sollte die Türkei nun erwartungsgemäß mehr Interesse auf sich ziehen, könnte die hier lebende türkische Minderheit bald eine ähnliche Brückenfunktion einnehmen wie die hier lebenden Russen, Russlanddeutschen und Polen in Richtung Osteuropa.

Ein Fundamentalist als Kandidat für das Präsidentenamt und Militärs, die demokratische Institutionen maßregeln: Bleiben Sie trotzdem bei ihrer positiven Einschätzung der Entwicklung in der Türkei?Grefe: Eine längere politisch instabile Lage würde die wirtschaftliche Entwicklung in der Tat belasten. Ich denke aber, dass die angekündigten Neuwahlen dem Spuk schnell ein Ende setzen werden. Die Trennung von Religion und Staat ist auf jeden Fall Voraussetzung für die Integration in die Weltwirtschaft. Das wissen auch die Türken.

Artikel vom 04.05.2007