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Für Dönhoff war er der
letzte Universalgelehrte

Carl Friedrich von Weizsäcker mit 94 Jahren verstorben

Von Helmut Stoltenberg
Starnberg (ddp). Als »letzten universal gebildeten Gelehrten im deutschen Sprachraum« würdigte einst Marion Gräfin Dönhoff den großen Philosophen und Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker. Am Samstag starb er im Alter von 94 Jahren.
Carl Friedrich und dessen Bruder Richard von Weizsäcker (l.).

»In zwei Disziplinen ist er gleichermaßen zu Hause, denn er hat nach einem vollen Physikstudium ein zweites volles Studium der Philosophie absolviert, und überdies ist ihm der religiöse Bereich von fernöstlicher Lebensweisheit bis zur christlichen Lehre sehr vertraut«, bescheinigte die Publizistin dem Jubilar zum 85. Geburtstag, nicht ohne hinzuzufügen: »Da kann ein normaler Mensch natürlich nicht mithalten«.
Im Leben des am 28. Juni 1912 in Kiel geborenen Wissenschaftlers spiegelt sich das vergangene Jahrhundert exemplarisch wider wie bei nur wenigen Persönlichkeiten. Schon das familiäre Umfeld macht neugierig: Ministerpräsident von Württemberg war der Großvater, Staatssekretär im Auswärtigen Amt der Vater, Bundespräsident später der jüngere Bruder Richard, renommierte Wissenschaftler auch die beiden Söhne. Carl Friedrich von Weizsäckers Biografie entspricht diesem Rahmen: Während des Zweiten Weltkriegs am deutschen Atombombenprojekt beteiligt, avancierte er später zu einem entschiedenen Warner und machte sich einen Ruf als einer der namhaftesten Friedensforscher. Ende der 70er Jahre war er selbst als möglicher Bundespräsident im Gespräch.
Mit vier Jahren wollte er noch Lokomotivführer werden, mit sechs Forschungsreisender, mit acht Astronom. Als Elfjähriger, nach der Lektüre der Bergpredigt, schienen ihm die Theologie und der Pfarrerberuf verlockend, dann erwachte das Interesse an anderen Religionen, an der Philosophie. Den Weg zur Physik wies ihm schließlich Werner Heisenberg, den er schon als Jugendlicher kennen lernte. »Er sagte zu mir: ÝWenn Du Philosophie verstehen willst, dann musst Du zuerst die konkreten Wissenschaften verstehenÜ«, erinnerte sich Weizsäcker Jahrzehnte später.
So studierte er nach Schuljahren in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und in Dänemark 1929 Physik und Mathematik, promovierte 1933 als Schüler der Physik-Nobelpreisträger Heisenberg und Niels Bohr, 1936 folgte die Habilitation. Anschließend ging er an die Physikabteilung des von Otto Hahn geführten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie in Berlin, wurde 1937 Privatdozent an der Berliner Universität und lehrte von 1942 bis 1945 an der Universität Straßburg.
Anfang des Krieges arbeiteten Heisenberg und er an der Atombombe, »kamen aber nach gut eineinhalb oder zwei Jahren zu dem Schluss, dass wir nicht fertig werden«, blickte Weizsäcker einmal in einem Interview zurück: »Nachdem wir die Bombe aufgegeben hatten, dachte ich nur noch: Gott sei Dank können wir es nicht, sonst müssten wir die Bombe ja für Hitler bauen«.
Nach dem Krieg wurde er zusammen mit Hahn, Heisenberg und anderen führenden Atomphysikern für mehrere Monate in England interniert; von 1946 an war er Professor in Göttingen und Abteilungsleiter am Max-Planck-Institut für Physik. 1957 rief Weizsäcker als Hauptinitiator der »Erklärung der Göttinger Achtzehn« mit 17 anderen Kernphysikern zur weltweiten Einstellung der Atomwaffenproduktion auf. Im selben Jahr wechselte er als Direktor des Philosophischen Seminars an die Uni Hamburg. 1970 übernahm er die Leitung des Starnberger Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der technisch-wissenschaftlichen Welt.
Die ihm von den Spitzen der sozialliberalen Koalition 1979 angetragene Kandidatur für die Nachfolge Walter Scheels schlug Weizsäcker aus, meldete sich aber weiter auch zu politischen Fragen zu Wort. 1983 etwa setzte er der Nato-Strategie einer »Vorneverteidigung« ein rein defensives Konzept entgegen, 1985 forderte er ein »Friedenskonzil der Kirchen«, und noch 1995 appellierte er mit 500 anderen Forschern an Frankreichs Präsident Jacques Chirac, auf umstrittene Atomtests in der Südsee zu verzichten.
»Ich habe Physik studiert aus philosophischem Interesse und Philosophie betrieben als Konsequenz des Nachdenkens über Physik; dagegen rührt mein Interesse an Politik eigentlich aus einer Art Pflichtgefühl«, erläuterte er einmal seinen Werdegang.
Carl Friedrich von Weizsäcker starb am Samstag nach langer, schwerer Krankheit in Söcking bei Starnberg.

Artikel vom 30.04.2007