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Von Gerhard Hülsegge

Bielefelder
Optik

Kirche - schier unglaublich


»Ach, dass ich hören sollt' das Wort erschallen bald auf Erden, dass Frieden sollt' an allem Ort, wo Christen wohnen, werden!« Diese Verse der Nachdichtung des 85. Psalms stammen von dem Pfarrer und Kirchenlieddichter Paul Gerhardt (1607-1676). Der bedeutende Theologe dürfte sich wohl im Grabe umdrehen, würde er des Streits ansichtig, der jüngst in Bielefeld um die nach ihm benannte Kirche an der Detmolder Straße entstanden ist.
Seit nunmehr vier Wochen hält eine Bürgerinitiative das Gotteshaus besetzt, weil sie dessen Verkauf - nicht nur an die Jüdische Kultusgemeinde - verhindern will. Der Evangelische Kirchenkreis und die Neustädter Marien-Kirchengemeinde halten mit Strafanzeigen dagegen, lehnen einen Schlichter im Kirchenstreit rundweg ab und machen Gesprächsangebote, von denen sie wissen, dass sie nicht angenommen werden.
So bleiben die Fronten verhärtet, strömen sonntäglich rund 100 Gläubige, mutige Protestanten, in ihre Kirche. Eine Kirche, die sie selbst finanzieren wollen und können und die gegen ihren Willen entwidmet wurde, um die 2005 nicht ohne Wehen vollzogene Fusion der Kirchengemeinden von Paul-Gerhardt und Neustadt-Marien mit Brachialgewalt zu dokumentieren. Liebeshochzeiten sehen anders aus.
»Haltet ein!«, möchte man rufen. Der Kirche - und weiß Gott nicht nur der evangelischen - laufen die Schafe doch ohnedies schon in Scharen davon. Warum wollt ihr sie nun auch noch mit Gewalt aus der Kirche vertreiben, wo jede andere Gemeinde froh wäre über so frommes Engagement im Zeichen des Kreuzes und im Namen des Herrn. Schier unglaublich!
»Jetzt rasen die Züge aufeinander zu«, befürchtet die liberale Politikerin Gudrun Kopp nicht ganz zu Unrecht. Und man hat den Eindruck, die Kirchenleitungen suchten die Eskalation. Werden die Mitglieder der Paul-Gerhard-Gemeinde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der Kirche getragen? Präses Alfred Buß beschäftigt noch die weltlichen Juristen. Doch die Staatsanwaltschaften lassen sich Zeit.
Sie wissen, warum. Wer Kirchenbesetzer als Rechtsbrecher bezeichnet, kann nicht im nächsten Atemzug »Kirchenasyl« rechtfertigen. Wer Nächstenliebe predigt, kann nicht auf Konfrontation setzen. Sonst wird er unglaubwürdig. Schon jetzt steht fest: Am Ende wird es keine Sieger geben.
Sicher, man kann räumen, die Kirche verkaufen, vielleicht auch auf einen Teil der Gemeindeglieder verzichten. Aber was kommt danach? Die Evangelische Kirche würde derart an Reputation verlieren, dass die Freude über den »schnöden Mammon«, den der Verkauf der Kirche einbringen würde, nicht lange währt.
Deshalb ist es Zeit, aufeinander zuzugehen. Die Superintendentin, vor allem aber der Präses ist nun gefordert, die Hardliner in den eigenen Reihen zurückzupfeifen. Ein Zeichen der Versöhnung ist dringend geboten. Insbesondere von Christen an Christen. Vor allem aber müssen die Strafanzeigen gegen honorige Bürgerinnen und Bürger umgehend vom Tisch. Dann bekommen Gespräche wieder einen Sinn. Ganz nach dem Paul-Gerhardt-Motto »Geh' aus mein Herz und suche Freud'«.
Der Dichter könnte dann auch wieder ruhig schlafen. Wie zum Ende des eingangs zitierten biblischen Psalms: »Ach, dass uns doch Gott sagte zu des Krieges Schluss, der Waffen Ruh und alles Unglücks Ende! Ach, dass doch diese böse Zeit bald wiche guten Taten, damit wir in dem großen Leid nicht mögen ganz verzagen!«

Artikel vom 28.04.2007