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Wenn die Tippsen träumen

Revue »Sekretärinnen« begeistert in Paderborn

Von Andrea Pistorius
Paderborn (WB). Sekretärinnen sind entweder mausgraue Vorzimmerdrachen oder wohlgeformte Blondinen. Falsch! In der umjubelten Premiere der Nummernrevue »Sekretärinnen« (Franz Wittenbrink) an den Westfälischen Kammerspielen in Paderborn wirbelte eine bunte Auswahl dieser Büro-Spezies über die Bühne.

Da sitzt die Korrekte (Jessica Fendler) mit strenger Miene und hochgeschlossenem Wollkostüm an ihrem Schreibtisch, deren heimliche Liebes-Sehnsucht (»I need a hero«) völlig überraschend mit fulminantem Jazz-Alt zu Ohren dringt. Neben ihr träumt die Naive (Kristin Lehnhardt) von einer Matrosenliebe (»Ein Schiff wird kommen«) und schmachtet in Ermangelung eines Seemannes den Büroboten an, doch der hat nur Augen für die Kompetente (Kerstin Westphal). Die wiederum ist als einzige der sieben Damen glücklich liiert (»Weil du klug und zärtlich bist«) und hat kein Interesse an einem Flirt.
Einen Freund hätte dagegen gern der Vamp (Cornelia Schönwald), doch was nützen alle wirkungsvoll inszenierten Reize (»My heart belongs to Daddy«)? Das ältliche Fräulein mit Gretelfrisur und Loden-Cape (Isabel Zeumer) dichtet im Stil der Klassiker und hat verwegene Träume im Tango-Rhythmus. Die Schwangere (Eva Mende) ist selbst noch ein halbes Kind und hegt romantische Träume (»I wonna be loved by you«), die die Burschikose (Tini Prüfert) mit der grandiosen Bluesröhre (»The man you loved«) auf ihre eigene Art teilt.
So unterschiedlich die Sieben sind, es eint sie die Schwärmerei und der Zorn auf den Chef, der zwar unsichtbar bleibt, doch jede kommt nach dem Diktat schäumend aus dessen Büro. Regisseurin Helga Wolf, die in Paderborn wegen ihrer wundervoll lebendigen Musik-Inszenierungen geschätzt wird, lässt ihre Darstellerinnen prägnante Charaktere entwickeln und erlaubt dabei das richtige Maß an Übertreibung: Natürlich ist der Vamp nicht in der Lage, einen Brief zu tippen, und verliert die Korrekte beim Lovesong an die Schreibmaschine sämtliche Contenance (»Can't live without you«).
Wolf sorgt auch dafür, dass jede Nummer anders präsentiert wird: Musikstile und Rhythmen wechseln, Papierkörbe und Joghurtgläser dienen als Percussion-Instrumente und Solo-Stücke wechseln mit Tutti-Passagen. Und selbst der biedere Bürobote (Joachim Kaiser) verzückt Publikum und Sekretärinnen, wenn er unterm Kittel den Eros Ramazotti mit Herz-Rasur im Brusthaar hervorkehrt.
Eine trostlos graue Großraumbüro-Kulisse (Julia Burde) bietet den Hintergrund, vor dem sich das quirlige Geschehen wirkungsvoll entfalten kann. Mit viel Gefühl begleitet Theatermusiker Gerhard Gemke sämtliche Lieder am Klavier - bis auf so großartige a-cappella-Intermezzi wie Grönemeyers »Männer« - und rockt über die Tasten, wenn das Programm mit einer Song-Session endet.

Artikel vom 28.04.2007