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Der gute Gast erzählt - und bleibt nur kurz

ZiF-Tagung über Gastlichkeit und Erzählen


Von Sabine Schulze
Bielefeld (sas). Ein Wildfremder klopft abends an die Tür und erbittet vier Dinge: nächtlichen Schutz, ein Lager, etwas zu trinken und eine Wegauskunft. Soll man das gewähren? Holt man sich womöglich einen Feind ins Haus? In alten Zeiten war klar: Der Fremde wird als Gast aufgenommen. Dafür erbrachte er eine Gegenleistung: Er erzählte.
Das Thema »Der Gast in der Moderne. Typen und Formen erzählter Gastlichkeit« beschäftigt derzeit im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Literaturwissenschaftler, Altphilologen, Historiker und Philosphen. Geleitet wird ihre Tagung von Prof. Dr. Rolf Parr, Dr. Peter Friedrich (beide Uni Bielefeld) und Dr. Alexander Honold, Basel.
Gastlichkeit und Erzählen, so Parr, hängen eng miteinander zusammen: Odysseus berichtete denen, die ihn auf seiner Irrfahrt heim nach Ithaka aufnahmen, von seinen Abenteuern. »Wo auch immer wir etwas über Gastlichkeit und ihre Bedeutung erfahren, sind unsere Quellen literarische.«
In der Antike hatte der Gast - auch der völlig Fremde - ein Recht auf Aufnahme. Aber: Sein Gastrecht war ritualisiert, es wurden Geschenke ausgetauscht und das Recht auf Gegenseitigkeit erwirkt. Der Schutz, den der Gast genoss, war in einer Gesellschaft mit geringer staatlicher Institutionalisierung und ohne Herbergswesen wichtig. Daraus resultierte die Bedeutung des Gastrechts, das auch auf die nächste Generation übertragen wurde. Gastlichkeit vermittelte also nicht nur Erfahrungen, sondern stiftete Frieden - was besonders deutlich wird in Conrad Ferdinand Meyers »Die Füße im Feuer«: Ein Burgherr nimmt den Mörder seiner Frau auf, erkennt ihn als solchen - und rächt sich nicht, sondern achtet das Gastrecht.
Gleichwohl galt durch alle Jahrhunderte: Der Gast stinkt nach drei Tagen wie der Fisch. »Wer länger bleibt, wird in den Haushalt einbezogen und muss arbeiten.« Zudem lautet die unausgesprochene Grundregel, dass der Gastgeber so viel wie möglich gibt, wohl wissend, dass der Gast nur nimmt, was er braucht. Gastrecht setzt also voraus, dass man auf Augenhöhe ist, beide Seiten die Spielregeln kennen.
In der heutigen, reiselustigen Zeit, kann es da zu Missverständnissen kommen, wenn kulturelle Besonderheiten falsch verstanden werden. Berühmtestes Beispiel sind vielleicht die Rucksacktouristen der 70er Jahre, die die Gastfreundschaft der Griechen über Gebühr genossen. »Auch die Teetassenregelung der Beduinen ist subtil: Die ersten drei angebotenen Schälchen haben eine Bedeutung - das vierte darf man nicht annehmen«, sagt Parr.
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich zudem das Verhältnis von Gast und Gastgeber gewandelt: Der Gast erwartet Unterhaltung, und es geht lockerer zu; dafür aber wird nicht mehr jedem die Tür geöffnet. Die Neuigkeiten bringen die Medien ins Haus (Ist der Moderator ein Gast?) und zu viele ungeladene Fremde, die womöglich bleiben wollen, werden nicht als Bereicherung, sondern als lästig oder bedrohlich empfunden - ob sie Touristen oder Zuwanderer sind.

Artikel vom 27.04.2007