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»Heim ist ein
Auslaufmodell«

Klaus Dörner fordert Abschaffung

Von Dietmar Kemper
Hamburg (WB). Altenheime sind überflüssig, teuer und lassen außerdem ungewollt Senioren früher sterben. Das behauptet Professor Klaus Dörner aus Hamburg. Er fordert die Abschaffung der Pflegeheime.
Klaus Dörner zieht Wohngruppen dem Heim vor.

»Der Einzug ins Pflegeheim führt dazu, dass binnen eines Jahres bis zu 30 Prozent der neuen Bewohner sterben«, sagte Dörner gestern dieser Zeitung. Das Gefühl, nutzlos zu sein und aufs Abstellgleis geschoben zu werden, schwäche den Lebenswillen. »Operationen mit dieser Sterblichkeit würden verboten«, gibt er zu bedenken. Dörner leitete von 1980 bis 1996 die Westfälische Klinik für Psychiatrie in Gütersloh, löste dort den Heimbereich auf und entließ alle 435 Patienten in eigene Wohnungen und Wohngemeinschaften. Vor vier Wochen erschien Dörners Buch »Leben und sterben, wo ich hingehöre« (Paranus-Verlag Neumünster).
Vor 30 Jahren seien Pflegebedürftige bereitwilliger ins Altenheim gezogen, weil sie dort eine gesunde Mischung aus fitten und weniger fitten Bewohnern, die sich gegenseitig unterstützen, vorgefunden hätten. Heute seien Senioren im Durchschnitt 85 Jahre alt, wenn sie ins Heim gehen.
Zum abschreckenden Heim gebe es genügend Alternativen, betonte Dörner und nannte neben der Pflege in der Familie die generationenübergreifenden Siedlungsprojekte. Der Experte: »Mittlerweile gibt es in Deutschland schon 1000 davon. Bis zu 300 Menschen einer Siedlung verpflichten sich vertraglich dazu, sich bei Krankheit und Not sowie im Alter zu helfen.« Auch ambulante Nachbarschaftswohnpflegegruppen (bislang etwa 500) seien im Kommen. Mit 30 solcher Gruppen liege Bielefeld deutschlandweit an der Spitze.
»Die Bürger sehen ihr Pflegerisiko abgedeckt, vielleicht verlieren sie die Vertrautheit ihrer Wohnung, aber nicht die Vertrautheit des Viertels«, erklärte Dörner (73) das Prinzip. Betreut von Profis könnten Senioren möglichst lange ihren eigenen Haushalt führen.
Dörner begrüßt die Entscheidung des Evangelischen Johanneswerks (Bielefeld), keine weiteren Heimplätze zu schaffen und stattdessen Wohngruppen zu fördern. Die dänische Regierung habe sogar den Bau neuer Altenheime verboten. Auch aus finanziellen Gründen entwickele sich das Heim »zum Auslaufmodell«. Aufgrund des demografischen Wandels und des wachsenden kostspieligen Bedarfs an Pflege werde das Altenheimsystem »bis 2030 restlos unbezahlbar«, glaubt Klaus Dörner.

Artikel vom 25.04.2007