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Edmund Stoiber

»Partnerschaft mit der Türkei ja, Mitgliedschaft in der EU ganz klar nein.«

Leitartikel
Die Türkei und die EU

Ideen für ein
modernes,
neues Europa


Von Andreas Schnadwinkel
Für Angela Merkel waren die ersten vier Monate ihrer halbjährigen EU-Ratspräsidentschaft ein zähes Geschäft, weil der laufende französische Präsidentschaftswahlkampf weitreichende Entscheidungen unmöglich macht.
Und das nicht nur, weil erst am 6. Mai fest steht, wer Jacques Chirac nachfolgt: Im inhaltlich zugespitzten Wahlkampf sollen mit europakritischen Aussagen Wählerstimmen gewonnen werden - die 55 Prozent Nein-Sager des in Frankreich gescheiterten Referendums über die EU-Verfassung stets im Hinterkopf. Was Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal gemeinsam haben: In keinem der beiden Programme wird die EU-Vollmitgliedschaft der Türkei befürwortet. Im Gegenteil: Sarkozy lehnt dies grundsätzlich ab, während Madame Royal sich an ein Votum der Franzosen würde halten wollen, das mit einiger Sicherheit negativ ausfiele.
Innenpolitischer Druck bestimmt die außenpolitische Ausrichtung. Vor diesem Hintergrund will der konservative Favorit mit einem konstruktiven Vorschlag punkten: Sarkozy möchte die EU bei ihren derzeit 27 Mitgliedern belassen und Staaten wie Kroatien, die Türkei und sogar die nordafrikanischen Maghreb-Länder für ein Projekt gewinnen, das Mittelmeer-Union heißt.
In der Tat sprechen, und das nicht erst seit der jüngsten Christenjagd islamistisch-nationalistischer Mörder, die kulturellen Unterschiede gegen eine EU-Vollmitgliedschaft der asiatischen Türkei.
Wirtschaftliche (Markt, Produktion), energiepolitische (Gas- und Öl-Pipelines) und geostrategische Bedeutung (Grenzen zum Krisengebiet im Nahen und Mittleren Osten) sind allerdings starke Argumente für eine enge Bindung des bald 80-Millionen-Volkes an Europa. Und dies will Sarkozy mit einer Mittelmeer-Union erreichen.
So genial einfach, wie er klingt, ist der Gedanke freilich nicht umzusetzen. In der Praxis wäre er ein sehr komplexes und kompliziertes Unterfangen, das viel Diplomatie und Geduld erforderte. Aufgrund seiner kolonialistischen Vergangenheit im Mittelmeer-Raum und seines Status' als Veto-Macht der Vereinten Nationen wäre ein Frankreich unter Sarkozy prädestiniert, die Idee voranzutreiben - während der EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008.
Eine mit der EU verbundene Mittelmeer-Union könnte von Marokko über die Türkei bis an die adriatische Balkanküste reichen und im Idealfall auch Israel und den Libanon als Mitglieder haben. Nach einer aktuellen Umfrage sähen 75 Prozent der Israelis ihr Land gern in der EU.
Angesichts der illegalen Zuwanderung aus Nordafrika, der Energieversorgung (Algerien ist nach Russland zweitgrößter Gaslieferant Europas) und der Islamisten-Bedrohung im Maghreb (Al-Qaida-Zellen in Algerien und Marokko) ist Sarkozys Idee mehr als nachdenkenswert, um ein Stück mehr politische Stabilität bei Europas Nachbarn zu schaffen und die EU selbst ohne weitere Vollmitglieder einigermaßen handlungsfähig zu halten.

Artikel vom 25.04.2007