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Engpass bei Billig-Arzneien

Patienten verunsichert - Apotheker klagen über zuviel Bürokratie

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Seit dem 1. April sollen Patienten durch Billig-Medikamente sparen können. Die Praxis sieht anders aus: Lieferengpässe haben dazu geführt, dass viele »rabattbegünstigte« Arzneien in den Apotheken ausverkauft sind.

»Kleinere Hersteller können nicht genügend Medikamente bereitstellen, Patienten sind verunsichert«, sagte der Sprecher der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Michael Schmitz, gestern dieser Zeitung. Seit dem 1. April dürfen Krankenkassen mit Pharmafirmen für »bevorzugte Medikamente« Rabattverträge abschließen. Damit sind Nachahmerpräparate (Generika) gemeint, die denselben Wirkstoff wie das Original enthalten, aber oft viel billiger sind. Durch die Regelung sollen neben den Kassen vor allem chronisch Kranke wie Diabetiker sparen: Bei »rabattbegünstigten« Medikamenten kann ihnen die Patientenzuzahlung von fünf bis zehn Euro pro Packung teilweise oder ganz erlassen werden.
Wegen Lieferengpässen bleibt dieser Teil der Gesundheitsreform bislang nur Theorie. Der Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale NRW, Wolfgang Schuldzinski, sagte gestern: »Patienten fragen sich, wieso sie ein anderes Medikament nehmen sollen, dieses aber gar nicht bekommen können.« Der Jurist rät Patienten, bei der Krankenkasse Druck zu machen und mit einer Klage zu drohen. Schuldzinski: »Sie haben einen Anspruch auf Versorgung. Das Problem betrifft in erster Linie Mitglieder der AOK.«
Die 2250 Apotheker in Westfalen-Lippe beklagen einen hohen bürokratischen Aufwand. Michael Schmitz: »Apotheker sind jetzt als Detektive gefragt: Erst müssen sie klären, welcher Krankenkasse der Patient angehört, dann, welche Rabattverträge die Kasse mit der Pharmaindustrie abgeschlossen hat. Danach müssen sie herausfinden, welches begünstigte Medikament in Frage kommt und schließlich, ob es lieferbar ist.«
Das Gesetz verpflichtet Apotheker dazu, ein günstigeres Medikament abzugeben, selbst wenn der Arzt auf dem Rezept eine andere Arznei aufgeschrieben hat. Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe hält diese Regelung für falsch. Wenn ein älterer Patient ein bestimmtes Präparat hervorragend vertrage und sich nicht mehr umstellen wolle, sei es aus medizinischer Sicht sinnvoll, dabei zu bleiben, betonte Sprecher Andreas Daniel. »Verunsicherte Patienten, fluchende Apotheker und als Kostentreiber hingestellte Ärzte« seien die Folge der Rabattverträge.
Christian Zimmermann vom Allgemeinen Patienten-Verband in Marburg kritisierte den Wirrwarr der Abmachungen: »Die Krankenkassen hätten wenigstens einheitliche Rabattverträge mit den Pharmafirmen aushandeln sollen.« So hegten einige Patienten Misstrauen, ob ihnen das neue Medikament hilft, während andere die vertraute Arznei weiter bekämen.
In Deutschland sind 8900 Arzneimittel mit unterschiedlichen Wirkstoffen in Umlauf. Ein- und derselbe Wirkstoff wird unter bis zu 120 verschiedenen Namen vertrieben. Gut 1500 Hersteller ringen um Marktanteile. Die deutschen Apotheken machten 2006 einen Gesamtumsatz von 21,8 Milliarden Euro.Seite 4: Kommentar

Artikel vom 27.04.2007