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Siemens-Chef Klaus Kleinfeld
weicht Druck und tritt zurück

Schmiergeld-Skandal stößt Elektro-Konzern Siemens in eine Führungskrise

München (dpa). In der Siemens-Krise wirft Vorstandschef Klaus Kleinfeld das Handtuch und verlässt den Konzern spätestens im Herbst. »In diesen Zeiten braucht das Unternehmen Klarheit über seine Führung. Daher habe ich mich entschlossen, für die Verlängerung meines Vertrags nicht mehr zur Verfügung zu stehen«, sagte Kleinfeld gestern in München.
Als Nachfolger gehandelt: Linde-Chef Wolfgang Reitzle.

Maßgebliche Aufsichtsräte hatten dafür plädiert, die Abstimmung über seine Vertragsverlängerung zu verschieben. Dies wollte der 49-Jährige nicht hinnehmen und entschied sich, seinen Hut zu nehmen. Im Konzern geht man derzeit davon aus, dass der Vorstandsvorsitzende seinen bis 30. September 2007 laufenden Vertrag noch erfüllen wird. Über einen Nachfolger wurde noch nicht entschieden.
Die Führungskrise bei Deutschlands größtem Elektrokonzern erreicht damit nur wenige Tage nach dem Rücktritt von Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer einen neuen Höhepunkt. Gerhard Cromme, der gestern zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt wurde, dankte Kleinfeld für seine Arbeit. »Siemens steht heute wirtschaftlich besser da, denn je.« Unter Kleinfelds Führung sei das Unternehmen strategisch neu ausgerichtet worden.
Ursprünglich war fest mit einer Vertragsverlängerung gerechnet worden. Allerdings plädierten einige Aufsichtsräte für einen kompletten personellen Neuanfang. Andere waren dafür, die Entscheidung zu verschieben, bis endgültig klar ist, dass Kleinfeld nicht in den Schmiergeldskandal hineingezogen ist. Allerdings hätte eine Verschiebung Kleinfeld schwer beschädigt. Daher zog er nun selbst die Konsequenzen. »Das Unternehmen muss uneingeschränkt handlungsfähig bleiben«, sagte er.
Über die Nachfolge-Diskussion im Aufsichtsrat wurde zunächst nichts bekannt. In den vergangenen Tagen war in Branchenkreisen hartnäckig Linde-Chef Wolfgang Reitzle genannt worden. Zwar erklärte der Linde-Konzern, dieser stehe nicht zur Verfügung. Dennoch hielten sich die Spekulationen rund um Reitzle auch gestern. Dem früheren Daimler-Chrysler- und VW-Manager Wolfgang Bernhard werden in Branchenkreisen dagegen keine Chancen gegeben.
Kleinfeld nützten am Ende auch die guten Geschäftszahlen bei Siemens nichts mehr. Der Gewinn stieg stärker als von Analysten erwartet um 36 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro. Der Umsatz legte um zehn Prozent auf 20,6 Milliarden Euro zu. Damit hat die Schmiergeldaffäre weiterhin kaum Auswirkungen auf das operative Geschäft. Die Börse wertete die Zahlen positiv. Der Siemens-Aktienkurs stieg am Morgen um knapp zwei Prozent auf 90,80 Euro. Nach der Rücktritts-Ankündigung Kleinfelds rutschte der Kurs knapp ein Prozent ins Minus.
Laut Einschätzung in Unternehmenskreisen sind die Rücktritte bei Siemens auch ein Signal an die mächtige US-Börsenaufsicht SEC. Diese fordere neben einer umfassenden Aufklärung des Skandals auch personelle Konsequenzen an der Spitze. Cromme betonte in einer Mitteilung, Kleinfeld habe sich konsequent für eine Aufarbeitung der Korruptionsfälle eingesetzt. Unabhängige Untersuchungen hätten keinerlei Anhaltspunkte für ein persönliches Fehlverhalten oder eine Mitwisserschaft ergeben.
Aktionärsvertreter haben den Rückzug von Siemens-Chef Kleinfeld bedauert. »Wir wissen nicht alles, was die Aufsichtsräte wissen, aber das ist schon zu bedauern. Bei Siemens muss Ruhe einkehren, und das, befürchte ich, wird jetzt nicht passieren«, sagte Klaus Schneider von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger am Abend in München. Angesichts der Entwicklung in den vergangenen Tagen sei Kleinfelds Schritt aber nachvollziehbar. »Man muss sehen, dass maßgebliche Teile des Aufsichtsrates ihn nicht unterstützen, damit wird seine Tätigkeit schwierig.«

Artikel vom 26.04.2007