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Großmutter aller Reality-Shows

ZDF-Fahndungsserie »Aktenzeichen XY... ungelöst« wird 40 Jahre alt

Von Christoph Driessen
Köln (dpa). Nachfolgende Generationen werden kaum glauben können, dass es im deutschen Fernsehen einst einen sehr korrekten Herrn gab, der nur »Guten Abend, verehrte Zuschauer« sagen musste - schon liefen dem Publikum Schauer über den Rücken.

Dieser Mann hieß Eduard Zimmermann. In diesem Jahr ist seine ZDF-Sendung mit dem etwas sperrigen Namen »Aktenzeichen XY... ungelöst«, die Großmutter aller Reality-Shows, 40 Jahre alt. Am 10. Mai wird 400. Folge ausgestrahlt, am 20. Oktober 1967 hatte Zimmermann, jetzt 78 Jahre alt, seinen ersten »XY«-Auftritt: »Den Bildschirm zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen, das ist der Sinn unserer neuen Sendereihe«, sagte er damals.
»Sachdienliche Hinweise nimmt die Kripo in München oder jede Polizeidienststelle entgegen« - dieser Satz war in den 70er Jahren so beliebt wie Robert Lembkes »Welches Schweinderl hätten's denn gern?«. Zimmermanns Ganovenjagd am Freitagabend war ein Ritual: Die scheppernde Eingangsmusik, die eichenfurnierte Kulisse, die laienhaften Schauspieler, der filmische Wisch-Effekt zur Andeutung eines Zeitsprungs zwischen zwei Szenen, die Stimme im Off mit Sätzen wie: »Die junge Frau ahnt noch nicht, dass sie das elterliche Haus nie erreichen wird« - und auch das »traurig, aber wahr« des stets und immer ernsten Moderators.
Der Ruf »Hallo Wien« war das Stichwort für Peter Nidetzky, gefolgt von Konrad Toenz in der Schweiz. Die beiden Alpen-Ableger bekamen einen derartigen Kultstatus, dass nach Toenz sogar eine Berliner Retro-Bar benannt wurde. Den Höhepunkt einer jeden Sendung bildete dann das geschäftige Telefonieren am Schluss: Frauen und Männer, von denen man nie erfuhr, ob es Polizisten, Journalisten, Telefonisten oder einfach nur Statisten waren, nahmen im Hintergrund Anrufe der Zuschauer entgegen. Denn die waren es ja, die die Kapitalverbrechen aufklären sollten. Nach Fragen wie dieser: »Wer hat am 26. Februar vergangenen Jahres auf der Autobahnraststätte Hünxe einen Mann in einer hellbraunen Lederjacke beobachtet?«
Zeitweise hatte Zimmermann Polizeischutz, weil er auf der Todesliste der Rote Armee Fraktion stand. Ulrike Meinhof hatte noch vor ihrem Abtauchen in die Terrorszene die Meinung vertreten, dass der »Fernseh-Sheriff« an das Denunziantentum der Nazizeit anknüpfe. Es ist nicht ohne Ironie, dass 2002 ein ehemaliger RAF-Strafverteidiger der erste Schirmherr des »XY-Preises« wurde: der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD).
Zimmermann verließ die Sendung nach 300 Ausgaben vor zehn Jahren. Heute wird sie vom ehemaligen Eiskunstläufer und Sportmoderator Rudi Cerne geleitet. Die Aufklärungsquote liegt weiterhin bei 42 Prozent, »und das, obwohl die Polizei meist nur mit den hoffnungslosesten Fällen in die Sendung geht«, unterstreicht Cerne. 2017 namentlich bekannte Personen wurden in der Sendung gesucht, 1255 davon festgenommen. Die Zahl der Zuschauer ist - in erster Linie auf Grund der stark gestiegen Konkurrenz durch die Privatsender - jedoch von 20 auf gut vier Millionen gesunken.

Artikel vom 25.04.2007