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»Sarko, der Stier, darf sich jetzt vom Rot Royals nicht noch zu politisch
unkorrekten Angriffen reizen lassen.«

Leitartikel
Wahl der Vernunft

Sarkos
größte Gefahr
ist er selbst


Von Jürgen Liminski
Es war eine Wahl der Vernunft, und die liegt oft in der Mitte. Auch in Frankreich. Und dort ist diese Mitte nun breit und weit. Sie umfasst einen Teil der Linken und einen großen Teil der Bürgerlich-Konservativen. Die Extreme sind geschrumpft, was natürlich auch der hohen Wahlbeteiligung zu verdanken. Die Mitte ist gewachsen, das Trauma der Teilung, das bis auf die Revolution zurückgeht, scheint überwunden.
Nun geht es um die Mehrheit dieser Mitte. Beide Kandidaten für die zweite Runde haben weitgehend ihr eigenes Wählerreservoir ausgeschöpft. Wenn die Ränder ihre Stimmen wie erwartet an die Lagerkandidaten abgeben, fehlen Sarkozy nur noch fünf bis sechs Prozent zum Sieg. Die dürfte er aus der Masse der Bayrou-Stimmen holen, es ist das Drittel der Mitte-Wähler, das traditionell bürgerlich stimmt. Selbst wenn die Hälfte der Bayrou-Wähler (insgesamt immerhin fast 19 Prozent) für die Kandidatin der Linken stimmte, reichte es für Madame Royal nicht zum Sieg. Es müssten schon zwei Drittel, also mindestens zwölf Prozent sein. Das ist sehr unwahrscheinlich.
Ganz unmöglich ist es nicht. Da eben 12 Prozent zum ersten Mal Bayrou gewählt haben, kann man sie noch als Wechselwähler einstufen. Ihr Verhalten ist nicht vorhersehbar und macht die Ungewissheit der Stichwahl aus.
Wahrscheinlich allerdings ist, dass die Beteiligung am 6. Mai nicht mehr so groß sein wird, und unter denen, die sich enthalten, werden viele Bayrou-Wähler sein.
Das umso mehr, als Bayrou sein gewonnenes Gewicht nicht dadurch verspielen wird, dass er sich für einen der Kandidaten ausspricht. Seine Erklärung am Wahlabend deutet in die Zukunft. Eine eindeutige Wahlempfehlung wäre ein hohes Risiko und könnte viele Wähler verprellen, selbst wenn seine Empfehlung den künftigen Sieger träfe.
Bayrou denkt jetzt schon an die dritte Runde, die Parlamentswahlen im Juni. Wenn er seine neuen Wähler bis dahin bei der Stange halten kann, kann er das Zünglein an der Waage für eine Koalition spielen, bei der seine Partei, die UDF, den Ausschlag gibt.
Aber auch wenn der Sieg für Sarkozy am 6. Mai mathematisch-politisch in greifbarer Nähe ist, eine Unsicherheit bleibt: er selbst. Wenn der Stier »Sarko«, der das politisch unkorrekte Wort liebt, sich vom Rot Royals reizen und zu einer Äußerung hinreißen ließe, die zum Beispiel die gegnerische Kandidatin persönlich verunglimpfte, dann könnten sich viele Wähler noch von ihm abwenden. Genau diese potentielle Schwäche wird die Wahlkampftruppe Royals versuchen auszunutzen.
Einen Verlierer gibt es schon: die liberal-linken Journalisten. Viele Redaktionen haben intern abgestimmt und das Ergebnis veröffentlicht, oft mit Appellen an die Leser. »Le Monde« rief offen zur Wahl von Madame Royal auf, ebenso andere Zeitungen und Magazine. Für Sarkozy stimmte keine Redaktion. Aber das Volk der Wähler und Leser wollte es anders. Hier ist die Parallele zu Deutschland am deutlichsten.

Artikel vom 24.04.2007