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Die Vielfalt des Tanzes
im Wirbel der Körper

»Drumming«: Uraufführung stürmisch bejubelt

Von Ruth Matthes
Bielefeld (WB). Viele Köche verderben den Brei. Vier Choreographen aber noch keinen Tanzabend. Ganz im Gegenteil, denn gerade die Vielfalt der Rezepte machte das internationale Projekt des Tanztheaters Bielefeld auf der musikalischen Grundlage von Steve Reichs »Drumming« zu einem wahren Genuss. Die Uraufführung am Samstag im Stadttheater wurde mit Bravo-Rufen gefeiert.

Chefchoreograph Gregor Zöllig hatte mit Shlomi Bitton (Israel), Lionel Hoche (Frankreich) und Jo Strømgren (Norwegen) drei renommierte Kollegen aus verschiedenen Schulen eingeladen, um mit dem Ensemble unabhängig voneinander je einen Teil des minimalistischen Klassikers zu erarbeiten. Wie sich zeigte, hatte Zöllig eine hervorragende Auswahl getroffen, denn jeder fand einen individuellen Ansatz, so dass sich ein Gesamtkunstwerk ergab, das den zeitgenössischen Tanz in großer Vielfalt wiedergab.
Den roten Faden bildete Steve Reichs Werk, das von neun Schlagzeugern der Musikhochschule Detmold an Bongo-Trommeln, Marimbaphonen und Glockenspielen, einer Piccolo-Flötistin und zwei Sängerinnen unter Leitung von Sven Pollkötter live vortragen wurde - schon das eine Seltenheit. Alle vier Teile basieren auf der Phasentechnik, bei der sich identische Instrumente, die dasselbe Melodiemodell ständig wiederholen, allmählich asynchron gegeneinander verschieben.
Der Hausherr eröffnete den Abend. Wie die Trommelrhythmen zueinander finden, so zeigte Zöllig den Menschen in seiner Zerrissenheit, der sich erst allmählich seiner Bewegungsmöglichkeiten bewusst wird und diese bis an die Grenzen treibt. Das Bühnenbild aus aufgeschlitzten Vorhang-Elementen (Imme Kachel) und die Beleuchtung (Peter Lorenz) schienen die Gliedmaßen der Tänzer durch den Raum fliegen zu lassen. Sie bildeten surreale Bilder, die in Gianni Cuccaros ausdrucksstarkem Solo mündeten.
Ganz anders fiel Shlomi Bittons Interpretation aus. Er erzählte mit dem Ensemble Episoden, in denen es um verschiedene Aspekte des Themas »Helden« geht. In knallbunten, schillernden Kostümen à la Lara Croft erweckten die Tänzer Assoziationen an Pop-Idole und Cyber-Space-Schönheiten.
Der Kontrast zwischen der strengen Struktur und dem geheimnisvollen Sog, den die Musik auf den Hörer ausübt, faszinierte Lionel Hoche besonders. Er ließ die Tänzer wie Schatten über die Bühne huschen und von Illusionen, Orientierungslosigkeit und Kontrollverlust erzählen. Die schwarze Bühne war durch vier Reihen von Glühbirnen strukturiert, die wie durchlässige Vorhänge die Schichten der Realität voneinander trennten.
Die urwüchsige Kraft der Trommelmusik kam am stärksten im Finale zur Geltung, als alle zwölf Stimmen sich noch einmal vereinigten. Jo Strømgren ließ sich vom Fluss der Musik gefangen nehmen und versetzte die Zuschauer in ein Straßencafé, von dem aus sie dem Treiben in der Fußgängerzone zuschauten. Unter den Vorbeieilenden waren neun hervorragende Tänzer, die abstrakten modernen Tanz der klassischen Art zeigten.
Weitere Vorstellungen: 4., 13., 16. und 18. Mai, 14. und 20. Juni.

Artikel vom 23.04.2007