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Tosende Stille in
der Oetkerhalle

Freitagskonzert mit Gegensätzen


Von Julia Husmann
Bielefeld (WB). Zwischen den am Freitag in der Oetkerhalle durch die Bielefelder Philharmoniker unter der Leitung von Peter Kuhn hintereinander aufgeführten Werken - Salvatore Sciarrinos »autoritratto nella notte« und Gustav Mahlers 6.Symphonie- mag es laut Programmheft in ihrer Musik »am Rande des Verschwindens« eine Verbindung geben, doch als noch reizvoller vermittelt sich ihr absoluter Gegensatz.
Sciarrino läßt durch Flageoletts, am Steg geführte Bögen, Tremoli, Vibrati und in Mundstücke gehauchte Luft die Geräusche der Nacht sirren bis dass sie in »tosender Stille« den ganzen, akustisch dafür wunderbaren Raum der Oetkerhalle füllten. Aber hier entsteht erst alles. Hier beginnt die Suche nach einzelnen, sinnlichen Reizen des Lebens. Umso gewaltiger bricht darein die kraftvolle symphonische Welt Mahlers. Und der machte es sich immerhin zur Aufgabe, in seinen Symphonien die Unerschöpflichkeit der Welt, ja den ganzen Kosmos zu fassen. Darin ist man bereits über die tastende Wahrnehmung heraus und beginnt an ihrem Zuviel zu zerbrechen.
Kuhn und sein für dieses Unternehmen vergrößertes Orchester bewiesen Sinn für den glühenden, drängenden, unaufhaltsam zackigen Marsch bis in berstende Kulmination hinein. Den Musikern war es hörbar daran gelegen, Mahlers genaue Partiturangaben vor allem im Hinblick auf Tempoveränderungen bis an ihren Rand auszuloten, sich zu musikalischem Zerfall zu trauen und harmonische Brüche in ihrer Schärfe gelten zu lassen.
Doch leider verlor sich die »helle« Seite Mahlers etwas in dem scheinbar ständig dringlich ersehnten Getöse. Es wurde sich kaum inhaltlich Zeit genommen für die lichtdurchfluteten »Almen« vor allem im ersten Satz und auch wenig für den so zauberhaften dritten Satz. Die über Mahler manchmal geäußerte Kritik, Elemente seiner Musik seien »banal« oder sogar »kitschig«, mag den Musikern so im Nacken gesessen haben, dass die Kantilenen der Bielefelder ihre Erdenschwere nicht verlieren und zu der Erdentrücktheit führen konnten, die erst, wenn sie ernst genommen wird, die Tragik ihres Verlustes umso gewaltiger macht.
Doch die gerade in Mahlers »mittleren« Symphonien verstärkt differenzierte Dichte erfordert beachtliche Höchstleistungen jedes Registers des Orchesters. Umso erwähnenswerter ist deshalb die wunderbare Blechbläsergruppe. Allen voran der erste Hornist, der in manchem Moment dann doch die heile Welt entstehen ließ, an die wir uns zeitlos, gemeinsam mit Mahler sehnsuchtsvoll erinnern wollen.

Artikel vom 24.04.2007