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Jetzt wird der Müll
getrennt, aber zackig!

»Mut, Demut, Ordnung«: Uraufführung im TAMzwei

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). »Ich bin nicht depressiv - das bringt's nicht«, sagt einer der Schauspieler. Im Gegenteil: Höchst lebendig, höchst agil mischt sich das Theater in die aktuelle Wertediskussion ein. Die zackige Uraufführung »Schöne neue Werte III« im TAMzwei erhielt am Samstag verdienten Applaus.

Trompeten schmettern, Pauken wummern, das Orchester legt sich mächtig ins Zeug, um heldische Töne zu produzieren, aber Roland und Walter, zwei Halbstarke, erwarten bloß genervt die finale Fanfare. Die Autorin Katharina Schmidt (26) macht »Mut« zum ersten Thema der »Schönen neuen Werte«. Schwer beschleicht den Zuschauer der Verdacht, dass der Mut den Jungs in den Gängen des Arbeitsamts abhanden kam.
Supergelangweilt: Alexander Swoboda. Obercool: Andreas Hilscher. Ihr Risiko: Kette rauchen. Was haben wir früher für Mutproben bestanden, den geklauten Wagen zu Schrott gefahren, die Staatsmacht verkloppt, doch heute trauen wir uns nicht mal mehr an die Frau ran: Als sexy Anna (Ines Buchmann) auf die Bühne stöckelt, verzischen die Hormone in einem Feuerwerk à la Comic-Sprechblase. Von Anschmachte bis Orgasmus: alles nur fake.
Und hat sich mal ein Paar gefunden, traut es sich nicht »ich liebe dich« zu sagen, sondern versteckt die Emotionen hinter der Pose. Ines Buchmann und Stefan Gohlke buchstabieren auf beklemmende Weise die moderne Beziehungskiste durch: Lieber verletz ich dich, bevor mich meine Gefühle verletzbar machen.
Starke Worte, herrisches Gebaren. In vollem Saft steht auch Carmen Priegos Textvorlage zum Thema »Demut«, aus der Christina Huckle die Kraft zu einem beeindruckenden Solo schöpft. Ganz in Weiß, doch ohne Blumenstrauß, findet die Braut den Weg zur Hochzeit nicht. Wer hat ihn verdunkelt? Alice Schwarzer? Oder der Macho an sich?
Jedenfalls ist's jetzt zappenduster, wo einst die Braut dem Herrn Gemahl im Licht der Kerzen fügsam die Hand zum Bunde reichte - die Orientierungslosigkeit, der ungehört verhallende Schrei nach Liebe macht sich in Aggression Luft: Die Demut weicht der Ohnmacht. Oder: Demutanzipation. Sollen doch die Vögel Hochzeit halten! Tortenschlacht! Konfetti!
Aber man kann nicht alles haben. Entweder ungezügelte Ekstase. Oder »Ordnung« - die hat der routinierte Ironiker Moritz Rinke zum Thema erkoren. 60 Jahre nach Auschwitz will ein Jude den damals vergrabenen Familienschatz heben, aber den schönen Schmuck deckt jetzt die B68. Hammerharter teutscher Asphalt über grobem teutschen Schotter, und die Ampel ist auch teutsche Wertarbeit, zeigt rot - grün - rot - grün - rot - grün - links, zwo, drei, vier.
Moritz Rinke hat seinen Tucholsky gelesen: »Die Seele jeder Ordnung ist ein großer Papierkorb«, schrieb der in den »Schnipseln«, und dort hinein entsorgt der deutsche Spießer - Thomas Wolff als Karikatur des Ordnungsfanatikers - die Schnipsel, die ganze Konfetti-Sahnetorten-Sauerei von eben. Rechts um! Und jetzt wird der Hausmüll sortiert. Dieses zivilisatorische Prinzip des »getrennt sammeln, vereint verbrennen« entwickelt eine solche Strahlkraft, das der Jude (devot bis urkomisch: Stefan Imholz) schnöden Mammon schnöden Mammon sein lässt und freudig braunes von grünem Glase scheiden hilft - so, nicht via Gutmenschengelaber, funktioniert Integration.
»Kein schöner Land in dieser Zeit . . .«: Für den musikalischen Schluss des von Intendant Michael Heicks, Gastregisseur Christian Schlüter und den drei Autoren flott und witzig inszenierten Stückes gab es Extra-Applaus. Denn wenn auch die Welt ringsum in Scherben fällt: Solange wir Deutschen im Bistro noch über Werte debattieren und sie im Theater verulken dürfen, kann es ja um die Gesellschaft nicht gar so schlecht bestellt sein. Glückwunsch also an die Autoren und ans Bielefelder Ensemble für seine erhellende Werte-Trilogie!
Die nächsten Vorstellungen: 29. April, 5., 12., 16. und 25. Mai, 1., 6., 16. und 23. Juni.

Artikel vom 23.04.2007