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Landesparteitag:
»Liberaler« reimt
sich auf »sozialer«

FDP beklagt Ungerechtigkeiten

Von Reinhard Brockmann
Hamm (WB). »Von heute an lassen wir uns unsoziale Politik nicht mehr vorwerfen«: Christian Lindner, Generalsekretär der nordrhein-westfälischen FDP, weiß um die Außenansicht seiner Partei.

Die Inneneinsicht in die von Rot-Grün 2005 hinterlassenen Verhältnisse ließ ihn am Samstag beim Landesparteitag in Hamm beklagen: Ungerechtigkeit, Bildungsferne und Schulden zulasten der Schwachen seien das Ergebnis derer, die sich für die sozialeren Demokraten hielten.
Vehement stellte sich der Landesparteitag vor Innenminister Ingo Wolf (FDP). Gewerkschaften und »Besitzstandswahrer« hätten schwerstes Geschütz aufgefahren, sagte Fraktionschef Gerhard Papke. Knapp 200 von 500 als Personalräte freigestellte Lehrer müssten in den Unterricht zurück. Pinkwart: »Was ist daran so schlimm?«
Proteste vor der Tagungshalle richten sich gegen zwei weitere Punkte: Personalräte können künftig nicht mehr den Einsatz von Computern in NRW-Büros verbieten und Versetzungen innerhalb einer Verwaltung sollen nicht aufwändiger sein als innerhalb eines Wirtschaftsbetriebes.
Mit dem Leitantrag »Mehr Freiheit, mehr Chancen - Liberaler ist sozialer« machen sich die Liberalen ihren eigenen Reim auf die NRW-Pleite von Steinbrück und Co. Ohne gesunde Einnahmen und mehr Treffsicherheit bei den Ausgaben folgten Staatswirtschaft und höhere Steuern zwangsläufig, sagte Lindner.
40 Prozent aller türkischen Jugendlichen in Köln blieben ohne jeden Abschluss, heißt es in der Antragsbegründung. Gesetzlich Krankenversicherte bekämen zum Ende eines Quartals kaum noch Artztermine, »weil in unserem planwirtschaftlichen Gesundheitssystem Leistungen in Wahrheit längst kontingentiert sind.« In Behinderteneinrichtungen werde der Mangel verwaltet, während Trittbrettfahrer staatliche Leistungen erschlichen.
Mit Hinweis auf die 2004 bundesweit niedrigste Quote an Betreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren ergänzte Landesvorsitzender Andreas Pinkwart die vorgefundene Mängellage. Er erinnerte auch an Spitzenwerte beim Unterrichtsausfall, die »Rote Laterne« bei den PISA-Ergebnissen und hohe Hürden für Kinder aus sozial schwachen Familien.
Die FDP setzt auf Sozialinvestitionen in Bildung, Beschäftigung statt Verwaltung von Arbeitslosigkeit und ein Bürgergeld, das 157 staatliche Leistungen aus 37 Quellen bündelt. Am Ende soll ein Mindesteinkommen statt eines Mindestlohns stehen, das Abstand zu Einkünften aus Erwerbsarbeit wahrt. Arbeitseinkommen müsse stets lukrativer als Stütze sein. Zum Gesamtpaket gehört auch der Kündigungsschutz nach österreichischem Vorbild und Ruhestand von 60 an - bei entsprechenden Abschlägen und Freigrenzen für höheren Hinzuverdienst.
Der Leitantrag, in den die OWL-Liberalen die Ausschreibung von Pflegeleistungen einbrachten, zielte auf den Bundesparteitag. Neu ist auch die Pflicht zur Versicherung sozialer Risiken. Der bisherige Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungskosten soll Beschäftigten netto ausgezahlt werden. Wer die private Vorsorge nicht alleine finanzieren kann, erhält einen Zuschuss aus Steuermitteln.
Einig waren sich Landesführung und Bundesvorsitzender Guido Westerwelle in der Kritik an der großen Koalition, insbesondere einer »atemberaubenden Sozialdemokratisierung der Union in Berlin«. Die FDP müsse für die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards kämpfen, sagte Pinkwart. FDP-Generalsekretär Christian Lindner ergänzte: »Wir wollen die Deutungshoheit über den Begriff der sozialen Gerechtigkeit nicht länger der politischen Linken überlassen.«Seite 2: Kommentar

Artikel vom 23.04.2007