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»Mister Siemens« tritt ab

Heinrich von Pierer beendet mit seinem Rückzug eine große Karriere

Von Axel Höpner
München (dpa). Regierungsberater, Top-Manager, Chef-Kontrolleur: Auch als Aufsichtsratschef hielt Heinrich von Pierer bei Siemens die Fäden in der Hand. Sein Rücktritt beendet eine große Karriere.

Die Zeit nach seinem Abtritt als Siemens-Vorstandschef hatte sich Heinrich von Pierer anders vorgestellt. Sein Tennisspiel wolle er weiter verbessern, kündigte der ehrgeizige Hobbysportler Anfang 2005 an, als der den Chefposten an Klaus Kleinfeld übergab. Durch den direkten Wechsel an die Spitze des Siemens-Aufsichtsrats konnte Pierer fortan auch kontrollieren, ob sein Nachfolger das Erbe in seinem Sinne wahren und ausbauen würde.
Als einer der angesehensten Manager in Deutschland und eines der prägenden Gesichter der Deutschland AG war Pierer zudem bei der Politik als Berater gefragt. Doch der Frieden währte nur kurz. Rasch holte Pierer die Schmiergeldaffäre bei Deutschlands größtem Elektrokonzern ein. Nach langem Widerstand erklärte der 66-Jährige nun seinen Rücktritt.
Pierer galt als »Mister Siemens«. Von Oktober 1992 bis Ende Januar 2005 führte er den Konzern als Vorstandsvorsitzender. Nach einigen schwierigen Jahren, in denen er nicht unumstritten war, brachte er Ende der 90er Jahre mit einem legendären Zehn-Punkte-Programm den Industrie-Dampfer auf Kurs. Das Programm sah unter anderem die Abspaltung der Halbleitersparte (heute Infineon) vor. Der Umsatz des Konzerns erhöhte sich während der Amtszeit Pierers von 35 Milliarden Euro Anfang der 90er Jahre auf 75 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2004/05. »Aus heutiger Sicht hat er sich schon enorme Verdienste erworben«, sagte Klaus Schneider von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger.
Auch mit den Arbeitnehmervertretern verstand sich der leutselige Pierer trotz teils drastischer Einschnitte insgesamt gut. Der Vorstandsvorsitzende versuchte, die Beschäftigten beim radikalen Wandel mitzunehmen. Im Erfurter Generatorenwerk wurde er sogar einmal zum Ehrenbetriebsrat ernannt. »Jetzt bin ich unkündbar«, witzelte er hernach. Nun dreht sich eine der aktuellen Affären ausgerechnet um mögliche Schmiergeldzahlungen an die Arbeitnehmerorganisation AUB.
Als Aufsichtsratsvorsitzender hatte Pierer ein Büro in München und eines bei Siemens in seiner Heimatstadt Erlangen. Dort war er am 26. Januar 1941 auf die Welt gekommen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft in seiner Heimatstadt startete er seine Laufbahn bei Siemens 1969 als promovierter Jurist und Diplom-Volkswirt. Nach dem Einstieg in die Rechtsabteilung des Zentralbereichs Finanzen wechselte er 1977 in die damals selbstständige Kraftwerk Union AG (KWU). 1989 übernahm er den Vorsitz des KWU-Bereichsvorstands und wurde zugleich Vorstandsmitglied der Siemens AG. Nach seiner Wahl in den Siemens-Zentralvorstand 1990 wurde er 1992 Vorstandsvorsitzender des Konzerns. Lange Zeit galt Pierer eher als Zauderer. Erst mit seinem Zehn-Punkte-Programm und dem radikalen Konzernumbau erlangte er sein hohes Ansehen. Der langjährige CSU-Kommunalpolitiker war auch in der Politik gefragt. Zeitweise war Pierer sogar als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch, noch ist er zudem wirtschaftspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Die Entscheidung zum Rücktritt fiel Pierer schwer. Er habe sich in der Schmiergeldaffäre nichts vorzuwerfen, eine politische Verantwortung zu übernehmen sei in der Wirtschaft nicht gefragt, sagte er. Nach 38 Jahren falle der Abschied wohl jedem schwer, hieß es im Umfeld. »Da loszulassen tut natürlich weh.« Allerdings habe es bei Pierer durchaus auch eine gewisse Erleichterung gegeben. Der Druck sei in den vergangenen Monaten enorm gewesen.

Artikel vom 21.04.2007