21.04.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Mordversuch: Enkelin (25) bricht
am Tatort in Weinkrämpfe aus

Schwurgericht tagt im Schlafzimmer der schwer verletzten Rentnerin

Von Christian Althoff
Detmold (WB). Ortstermin am Tatort: Das Detmolder Schwurgericht hat am Freitag in der Wohnung der Rentnerin Lina F. (88) getagt und das Schlafzimmer der alten Frau besichtigt. Hier soll Enkelin Dunja F. (25) am 23. November Feuer gelegt haben, um ihre schlafende Großmutter zu töten.
Lina F. leidet bis heute an den Folgen des Feuers.
Die arbeitslose Modeverkäuferin steht seit dem 5. April wegen versuchten Mordes vor Gericht. Sie hatte mit der EC-Karte ihrer Oma acht Mal Geld von deren Konto abgehoben - insgesamt 7100 Euro. Nachdem die betagte Frau von dem Diebstahl ihrer Enkelin erfahren hatte, sollte es am 23. November eine Aussprache geben. Doch zu der kam es nicht mehr: In den frühen Morgenstunden jenes Tages stand das Schlafzimmer der Rentnerin in Flammen. Sie entkam mit schweren Verbrennungen, ist heute ein Pflegefall und lebt in einem Heim.
»Die alte Dame konnte es nicht fassen, dass ihre Enkelin sie hintergangen hatte«, sagte eine Mitarbeiterin der Sparkasse Detmold am Freitag als Zeugin im Schwurgerichtssaal. Lina F. habe damals Geld vermisst und sich ein Überwachungsfoto vom Geldautomaten zeigen lassen. »Sie erkannte ihre Enkelin, schlug die Hände vors Gesicht, fing an zu weinen und sagte immer wieder: Ich kann es nicht fassen!«, erinnerte sich die Zeugin. Lina F. habe aber keine Anzeige erstatten sondern die Sache familienintern klären wollen.
Mit einem Bus fuhren die Prozessbeteiligten anschließend zum Tatort an der Heitlandstraße 28. Die Protokollführerin befestigte den Terminzettel mit dem Aufdruck »Öffentliche Sitzung« am Briefkasten der Doppelhaushälfte, in der Lina F. mit ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter lebte. Der Vorsitzende Richter Michael Reineke eröffnete die Sitzung und erklärte, man werde sich zuerst das inzwischen renovierte Schlafzimmer des Opfers im Dachgeschoss ansehen. Hausbesitzer Wolfgang F., Sohn der schwer verletzten Rentnerin, geleitete das Gericht nach oben. Außer Reportern durften keine Zuschauer ins Haus.
Dunja F., die den Mordversuch bestreitet, zitterte am ganzen Körper und schluchzte, als Justizbeamter Reinhard Kleesiek sie die 19 Stufen zur Wohnung der Großmutter hinaufführte. Vor der offenen Schlafzimmertür stoppte die 25-Jährige, die jetzt von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt wurde. Der Justizbeamte beruhigte die Angeklagte und schob sie ins Schlafzimmer. Dort ließ sich Dunja F. auf einen Stuhl sinken und weinte mit gesenktem Kopf vor sich hin, die Hände um eine Packung Tempo-Tücher gekrallt.
Wolfgang F. zeigte dem Gericht, wo der Wäschekorb gestanden hatte, von dem das Feuer ausgegangen war. Ein Brandsachverständiger erklärte, Lina F. habe unglaubliches Glück gehabt. »Etwa zehn Minuten, nachdem jemand den Korb angezündet hatte, herrschten unter der Zimmerdecke 300 Grad, und es bildeten sich dichte Rauchwolken. Wäre die Frau nicht in diesem Moment wachgeworden und geflohen, hätten drei weitere Atemzüge gereicht, um sie zu töten.«
Nach dem Schlafzimmer besichtigte das Gericht den Keller. Staatsanwalt Christopher Imig geht davon aus, dass die Enkelin durch die nicht verschlossene Außentür der Waschküche ins Haus gelangt war und sich ins Schlafzimmer geschlichen hatte.
Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. Möglicherweise wird dann bereits ein Urteil verkündet.

Artikel vom 21.04.2007