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In keinem anderen Land geben die Bürger mehr Geld für Möbel aus.

Leitartikel
Möbelbranche

Schieder oder
das große
Vakuum


Von Bernhard Hertlein
Wenn ein Riese wackelt, schlägt er besonders große Wellen. Das war so in der vergangenen Woche bei Schieders Höllenfahrt. Das war aber auch schon Jahre vorher so: während der tiefem Krise von Schieders ehemals großen Paderborner Konkurrenten Welle, in den schweren Zeiten der führenden und inzwischen miteinander verbundenen Küchenhersteller Alno in Pfullingen und Wellmann bzw. Casawell in Enger. Und das war schließlich auch so beim Konkurs einer der wenigen börsennotierten Möbel-Aktiengesellschaften, der K + M AG in Kirchlengern.
Die Hängepartie, die sich die beteiligten Banken in den vergangenen Wochen bei Schieder geleistet haben, zeugt allerdings angesichts von 11 000 betroffenen Mitarbeitern von besonderer Kälte.
Man sollte zwar bei einer Summe von 70 Millionen Euro selbst dann nicht von »Peanuts« reden, wenn die Deutsche Bank betroffen ist. Aber das Hin und Her, das dieses Geldinstitut offenbar an erster Stelle verursachte, zeugt doch von extremer Kurzsichtigkeit. Denn natürlich kann eine Finanzkrise bei Europas größtem Möbelhersteller nicht ohne Einfluss auf die Lieferanten und auf die Kunden im Möbeleinzelhandel bleiben.
Die Gefahr war da, und sie ist noch nicht endgültig überwunden, dass in diesem Verfahren gewachsene Strukturen zerbrechen, für die es angesichts der starken Stellung von Schieder im einfachen und mittleren Möbelgenre keinen schnellen Ersatz geben kann.
Man fragt sich, wem ein solches Vakuum nutzen könnte. Wohl am wenigsten könnten davon aktuell die mittleren bis kleineren deutschen Möbelhersteller profitieren. Sie können ihre Produktion einfach nicht von jetzt auf heute explosionsartig in die Höhe schrauben. Diejenigen, die dies während des Wiedervereinigungs-Booms getan haben, gelangten in der Mehrzahl drei bis fünf Jahre später an einen ähnlichen Punkt, an dem jetzt Schieder steht.
Nutzen oder ausnutzen -Êje nach Sichtweise - könnten das Vakuum ausländische Investoren jedweden Kalibers. Sie hätten mit einem Mal nicht nur einen Zeh, sondern ein wirkliches Standbein im deutschen Möbelmarkt. Keiner - mit Ausnahme vielleicht noch des Steinhoff-Konzerns (Westerstede), der jedoch den Hauptsitz längst nach Südafrika verlegt hat - ist auch nur annähernd stark mit den Möbeleinkaufsgruppen im Geschäft wie eben Schieder.
Daran, dass Deutschland besonders lockt, besteht kein Zweifel. Denn nach wie vor ist es der weitaus größte Möbelmarkt in Europa. Daran hat sich auch nach sieben Jahren der Stagnation nichts geändert: In keinem anderen Land geben die Bürger pro Kopf mehr Geld für Möbel aus als eben hier.
Ostwestfalen-Lippe weiß, was es an seiner Möbelindustrie hat. Nirgendwo sonst ist die Konzentration von Herstellern und Zulieferern, von Maschinenbauern und Handelsfirmen in der Möbelbranche größer als zwischen Weser und Lippe und zwischen den Autobahnen A 30 und A 44.
Davon profitieren alle - aber in besonderem Maß die kleinen und mittleren Hersteller in der Region.

Artikel vom 21.04.2007