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»Schweinefessel-Verbrechen«
erschüttert auch die Türken

Weitere Festnahmen nach möglicherweise ritueller Christen-Hinrichtung

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Für die aufgeklärten türkischen Medien war der Mord an drei Christen in Malatya am Tag danach ein klarer Fall von »domuz bagi« - »Schweinefessel«-Verbrechen.
Noch im März beleuchtete der Spiegel die »stille Islamisierung« Deutschlands. Selbst Geschehnisse wie der Dreifachmord an Christen im fernen Ostanatolien haben inzwischen eine europaweite Dimension als Fanal eines Kulturkampfes.
Damit war alles gesagt: Abscheulich, entwürdigend und nach bekannten Merkmalen rituell vollzogen. Wie Schlachtvieh waren drei Mitarbeiter des Bibelverlags »Zirve« (Gipfel) an Händen und Füßen gefesselt worden, um sie dann mit einem Kehlschnitt zu töten und ausbluten zu lassen.
Die Empörung war in der Türkei eher noch größer als hierzulande, wo insbesondere der Tod eines 46-jährigen Deutschen beklagt wird. Tilmann Geske war ein in Basel ausgebildeter Übersetzer des Beratungsbüros »Seidenstraße«.
In Istanbul gingen noch am Mittwochabend Demonstranten auf die Straße und warben für religiöse Toleranz. In Deutschland reagierten die Türkische Gemeinde und der Rat der Muslime mit Entsetzen und Abscheu auf das Verbrechen.
Die fünf am Tatort festgenommenen jungen Männer aus einem islamischen Studenten-Wohnheim sollen geständig sein. »Wir haben dies nicht für uns, sondern für das Vaterland und unseren Glauben getan«, zitierte »Hürriyet« die Verdächtigen. »Den Feinden des Glaubens möge dies eine Lehre sein«, höhnten sie. Fahnder schließen eine Verbindung zum Mord an Andrea Santoro nicht aus. Der Priester war im Februar 2006 beim Gebet in der Kirche hinterrücks erschossen worden.
Gestern folgten weitere Festnahmen, insgesamt sitzen zehn Personen hinter Gittern. Der mutmaßliche Anführer, der bei der Flucht aus dem Fenster sprang, schwebte gestern noch in Lebensgefahr.
Tilmann Geske lebte mit Frau und drei Kindern seit 2003 in der ostanatolischen Stadt, in der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Begründer der Christoffel-Blindenmission Augenzeuge des Völkermordes an christlichen Armeniern wurde. Die Provinzhauptstadt Malatya ist zugleich Heimat des im Februar in Istanbul ermordeten Hrant Dink. Auch Papst-Attentäter Ali Agca soll hier geboren worden sein.
»In letzter Zeit sprachen die Mitarbeiter in Malatya immer öfter davon, dass sie bedroht werden«, sagte der Chef des aus Sicherheitsgründen erst 2005 von »Kayra-« in »Zirve-Verlag« umbenannten Unternehmens. Damals hatten Zeitungen in Malatya geschrieben, die Mitarbeiter betrieben »missionarische Tätigkeit«.
Dem türkischen Außenminister Abdullah Gül bereitet es nach eigenem Bekunden »großes Unbehagen, dass das Ansehen unseres Landes im Ausland beschädigt wird.« Der Anschlag sei gegen »den inneren Frieden, die Tradition der Toleranz und gegen die Stabilität der Türkei« gerichtet.
Während sich in Deutschland Kirchen und Parteien mit offenen Anfeindungen zurückhielten, erhoben Vertreter der protestantischen Kirchen in der Türkei schwere Vorwürfe gegen Staat, Parteien und Medien. »Einige (...) zeigen mit einer kein Ende findenden Feindschaft auf die Christen«, sagte Bedri Peker, Präsident des Bundes der Protestantischen Kirchen der Türkei. Christen würden als »potenzielle Straftäter und Vaterlandsverräter« gesehen.
Ihsan Özbek, Vorsitzender eines Vereins protestantischer Freikirchen in Ankara, dem auch die kleine Gemeinde in Malatya angehört, ging noch weiter. Er sprach von einer »Hexenjagd wie im Mittelalter«.

Artikel vom 20.04.2007