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Prototyp eines »Schulmörders«

Nach dem Massaker Bombendrohung gegen Universitäts-Präsidenten

Blacksburg (dpa/Reuters). Warum ging die Polizei nicht früher auf Warnungen ein? Warum wurden die Studenten der Universität Virginia in Blacksburg nicht umgehend von ihr und der Uni-Leitung gewarnt, nachdem am Montagmorgen die ersten beiden tödlichen Schüsse gefallen waren?
Menschen in Südkorea und Südkoreaner in den USA sind entsetzt über die Tat ihres Landsmannes und zeigen dies auf Transparenten.

Auf die Kritik an Polizei und Universität reagierte Virginias Gouverneur Tim Kaine gestern mit der Ankündigung, die Umstände, die zum größten Schulmassaker in der Geschichte der USA führten, von einer unabhängigen Sonderkommission untersuchen zu lassen. Unterdessen gab es gestern auf dem Campus eine Bombendrohung gegen den Universitätspräsidenten Charles Steger. Bewaffnete Sicherheitskräfte umstellten das Verwaltungsgebäude. Eine »verdächtige Person« erwies sich aber als harmlos.
Neben Fehlern im Krisenmanagement zeichnete sich zwei Tage nach dem Massenmord immer deutlicher ab, dass der 23-jährige Täter Cho Seung-Hui schon lange auffällig gewesen war (siehe nebenstehenden Bericht).
Briefe und Aufsätze des Studenten schürten Spekulationen über seinen tiefsitzenden Hass auf Kommilitonen und Lehrkräfte. Hinweise auf einen aktuellen Auslöser der Wahnsinnstat, dem am Montag auf dem Universitätsgelände von Blacksburg 32 Menschen und schließlich der gebürtige Südkoreaner selbst zum Opfer fielen, gab es dagegen nicht.
Studenten und Professoren der Technischen Hochschule Virgina zeichneten ein abschreckendes Bild des Täters, der seit Jahren als unnahbar galt. In Texten, die er in seinem Studienfach Englische Literatur verfassen musste, fiel er mit obszönen Szenen voller Gewaltphantasien auf. Die Englisch-Professorin Lucinda Roy hielt den Studenten für derart gefährlich, dass sie mit ihrer Assistentin ein Codewort vereinbarte, mit dem sie im Notfall ohne Aufsehen zu erregen um Hilfe bitten konnte. »Im Nachhinein betrachtet war er eigentlich der Prototyp dessen, wie man sich einen ÝSchulmörderÜ vorstellt«, beschrieb ihn auch ein ehemaliger Klassenkamerad.
In einer eindringlichen Erklärung verurteilte Südkoreas Präsident Roh Moo Hyun das Massaker. »Ich und meine Mitbürger empfinden Entsetzen. Unsere Herzen sind gebrochen«, sagte der Staatschef gestern nach einer Sondersitzung des Kabinetts. Die große südkoreanische Gemeinde in den USA fürchtet feindliche Reaktionen nach der Tat ihres Landsmannes.
In einer bewegenden Trauerfeier für die Opfer bezeichnete US-Präsident George W. Bush die Tat als beispielloses Verbrechen. »Es war der schlimmste Tag der Gewalt auf einem Campus in der amerikanischen Geschichte und für viele unter ihnen war es der schlimmste Tag in ihrem Leben«, sagte Bush vor 10 000 fassungslosen Trauergästen in der Basketballarena.
Die »National Rifle Association« (NRA), mächtige Waffenlobby der USA, äußerte unterdessen, was sie auch schon 1999 nach dem bis dato schlimmsten Massaker an der Columbine-Highschool erklärt hatte. Nämlich dass der Amokläufer hätte gestoppt werden können, wenn auf dem Uni-Gelände nicht ein Waffenverbot geherrscht hätte. Andere hätten ihm dann ja bewaffnet entgegentreten können.

Artikel vom 19.04.2007