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Amoklauf nach Liebesdrama

Polizei zunächst auf falscher Spur - Studenten spät über Gefahr informiert

Blacksburg (dpa). War ein studentisches Liebesdrama Auslöser des Universitätsmassakers von Blacksburg? Inzwischen deutet alles darauf hin, dass der 23 Jahre alte Cho Seung-Hui aus Südkorea zunächst seine Freundin und einen Studenten erschoss, der den Streit zwischen den beiden schlichten wollte.
Der mutmaßliche Amokschütze: Cho Seung-Hui (23) soll laut »Chicago Tribune« zuletzt als »merkwürdig« aufgefallen sein.

Gut zwei Stunden dauerte es dann noch, bis der junge Mann loszog und auf Kommilitonen wie Lehrer schoss. 32 Menschen blieben bei dem bislang folgenschwersten Amoklauf in den USA tot in den Räumen und auf den Fluren eines Vorlesungsgebäudes des »Virginia Tech« zurück, 15 verletzte der Schütze, bevor er sich mit einem selbstmörderischen Kopfschuss das Gesicht entstellte. Erst 24 Stunden nach der Tat konnten die Ermittler den Mann gestern sicher identifizieren.
Die Polizei hatte anscheinend nach der ersten Schießerei in einem Studentenwohnheim zunächst eine falsche Spur verfolgt. Es sei dazu jemand verhört worden, aber nicht der spätere Amokschütze, sagte später ein Polizeisprecher. Zwölf Verletzte, allesamt Studenten, befanden sich gestern noch im Krankenhaus. Ihr Zustand wurde von einem Hospitalsprecher als stabil bezeichnet.
Bereits in der Nacht zum Dienstag hatten sich Studenten auf dem Campus zu spontanen Gedenkfeiern versammelt. In die Trauer mischte sich zunehmend Wut gegen die Polizei und die Universitätsleitung. Grund war die Entscheidung, den Lehrbetrieb nach der ersten Schießerei am frühen Morgen fortzusetzen. Erst mehr als zwei Stunden später seien die Studenten per E-Mail aufgerufen worden, nicht ins Freie zu gehen, da ein Schütze auf dem Campus sein Unwesen treibe.
Die meisten der Opfer wurden in Klassenräumen getötet, einige starben während des Deutschunterrichts (siehe »Erleichterung und Trauer an Partner-Uni«). Der 75-jährige Professor Liviu Librescu aus Israel wurde getötet, als er sich dem Attentäter in den Weg stellte, um Studenten die Flucht zu ermöglichen.
Augenzeugen sagten, der Amokläufer sei unbeschreiblich kaltblütig vorgegangen und habe seine beiden Waffen, Berichten zufolge eine halbautomatische Walther-Pistole sowie eine Waffe vom Typ Glock, mehrere Male in Seelenruhe nachgeladen. Ein Waffenexperte sagte, der Schütze müsse mehrere Schachteln Munition mit sich gebracht haben. Viele Opfer wiesen mehrere Schusswunden auf. Eine Augenzeugin berichtete über den Schützen: »Er war wie ein Pfadfinder gekleidet.«
Universitätsleitung und Polizei rechtfertigten ihre späte Warnung damit, dass die erste Bluttat als Einzelfall bewertet worden sei. Universitätspräsident Charles Steger sagte später aber, er glaube nicht, dass noch ein zweiter Täter herumlaufe.
Der 22 Jahre alte Parham Shahidi aus Darmstadt, der im Rahmen des Austausches die Universität besucht, hörte zur Zeit des Amoklaufes eine Vorlesung in einem Nachbargebäude. »Ich habe hier keine Angst an der Virginia-Tech«, sagte er gestern. Wir sind hier wirklich sehr gut betreut.« Die Atmosphäre sei aber sehr bedrückend. »Ich bin sehr traurig und betroffen von den Vorfällen.«

Artikel vom 18.04.2007