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»Erst die Tat adelt die Gesinnung«

Unter Historikern ist unstrittig, was einen NS-Gegner wirklich ausmacht

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). »Wenn das der Führer wüsste!« Die geläufigste Floskel aus dem Alltag des Dritten Reiches gilt Historikern als Beleg dafür, dass es im NS-Staat mehr gab als entweder »Volksgemeinschaft« oder »Gemeinschaftsfremde«. Eindeutig abgegrenzt ist dabei die Definition des »Gegners«.

Das Dritte Reich sei im Innern alles andere als ein Monolith gewesen, berichtet der Historiker Detlef Peukert, der sich dem NS-Alltag verschrieben hat. Mit Studien zu den Kölner »Edelweiß-Piraten« oder der Hamburger Jazz-Jugend hat er die Begriffe »Widerstand« und »Gegner« um wichtige Facetten bereichert.
Das Spektrum reicht von der eingangszitierten Ahnung, dass die Selbstherrlichkeit örtlicher NS-Chargen kaum im Sinne des kultisch verehrten Führers sei, bis zu gut 20 Attentatsplanungen. Opposition über den bloßen Gedanken hinaus zeigten Kirchen, Gewerkschaftler, Einzelpersonen und die so genannten »unbesungenen Helden« (Joachim Tuchel).
Nicht dabei ist, was Günther Oettinger unter Regime-Gegnern versteht. Selbst dessen letztlich erfolgloser Rettungsversuch gestern in der »Bild-Zeitung« erfüllt nicht die historische Definition: Der frühere Marine-Richter und spätere baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger sei nicht ein Gegner des NS-Regimes »im Sinne des Widerstandes« gewesen, rückte Oettinger zurecht. Filbinger habe aber in einer »inneren Distanz zum Regime« gestanden, gleichwohl »angepasst wie Millionen andere«.
Innere Distanz als Kriterium von Gegnerschaft lassen die Historiker allein nicht gelten. Es fehlt die Tat. Die Verschwörer des 20. Juli 1944 hatten unmittelbar vor dem Attentat erklärt, es gehe jetzt nur noch darum, ein Zeichen für das andere Deutschland zu setzen. Kurzum: Das mögliche Scheitern und ihr persönliches Schicksal stellten zivile wie militärische Regime-Gegner unter die moralische Verpflichtung zum Fanal.
Das Einzige, was den wirklichen Gegnern des NS-Regimes blieb, schreibt Frank Schirrmacher in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, war die Hoffnung, von der Nachwelt nicht mit den anderen verwechselt zu werden. Allein deshalb hätte Stauffenberg eine aussichtslose Tat unternommen. »Zu zeigen, dass es auch anders ging - dafür sind sie über die Grenze gegangen. Oettinger hat alles getan, diese Grenze zu verwischen.«
Peter Steinbach, erster Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendler-Block, bestätigt, dass erst die Tat die Gesinnung adelt. »Die Hoffnung vieler Widerstandskämpfer richtete sich 1944 darauf, durch den Einsatz des eigenen Lebens ein Zeichen für die Zukunft zu setzen.« Für Hans Mommsen ist Oettingers Versuch, Filbinger zu den NS-Gegnern zu schlagen, eine klare »Verunglimpfung der Angehörigen des Deutschen Widerstands«. Dahinter stehe sogar »nationale Blasphemie«, weil die Tradition des Widerstands zum nationalen Bewusstsein gehöre.
Debatten zur Begriffsklärung werden bis heute vom nahezu »inflationären Gebrauch des Begriffs Widerstand« (Wolfgang Benz) in den 1970-er und 80-er Jahren belastet. Gemäß der Spontidevise »Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt« wurden selbst historische Studien zu Oppositionshaltungen im Dritten Reich auf das Schema Täter/Opfer reduziert. In jenen Zeiten, politisch aufgeladen durch die Nachrüstungsdebatte und die Anti-Atombewegung, setzte sich nur langsam die Erkenntnis durch, dass der Widerstands-Begriff mehr als lupenreine antifaschistische Grundhaltung umfasste.
Die Tochter Josef Wirmers, der nach dem 20. Juli Justizminister in einem neuen Deutschland werden sollte, musste lange um das Ansehen des 1944 hingerichteten Ostwestfalen kämpfen. Die einzige vorliegende Biografie über den streitbaren Katholiken ist folgerichtig überschrieben: »Josef Wirmer - ein Gegner Hitlers«.

Artikel vom 17.04.2007