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Eine zeitlose
Katastrophe

Uraufführung von »Lavinia A.«

Osnabrück (dpa). Die Oper gilt als eine Art Museum, das die Vergangenheit in die Gegenwart retten will. Die zeitgenössische Oper versucht dies aber zu widerlegen. Nicht ohne Ironie ist es daher, wenn eine zeitgenössische Oper nach einem richtig alten Text entsteht.
Das ist der Fall bei »Lavinia A.«, der neuen Oper von Komponist André Werner und Librettist Gerd Uecker. Das Werk beruht auf der Shakespeare-Tragödie »Titus Andronicus«, befasst sich aber mit einer zeitlosen Katastrophe: Eine Gesellschaft vernichtet sich selbst. Das Publikum der Uraufführung am Sonntagabend in Osnabrück reagierte mit lang anhaltendem Beifall und nur wenigen Buhrufen.
Shakespeares blutiges Drama bietet einen beklemmenden Ausblick - nur der jüngste Sohn des Titus überlebt am Ende. Eine Inszenierung, die das Gemetzel mit viel Blut über die Bühne brächte, wäre wohl nicht ohne Peinlichkeit, räumt Dramaturgin Carin Marquardt ein. Das vermeidet die Aufführung des Osnabrücker Auftragswerks mit einem schlichten Bühnenbild. Heute schon fast alltägliche Gewalt repräsentieren in der ersten Szene zwei Jugendliche, die sich immer wieder und immer brutaler gegenseitig umzubringen scheinen. Aktuelle Bezüge sind erwünscht, denn eine Vernichtung, die in Selbstvernichtung gipfelt, hebe Gut und Böse auf. Besonders perfide: Rache entfaltet sich in dem Stück immer über Gewalt an den Kindern des jeweiligen Gegners, nur in Sachen Härte und Brutalität sind die Figuren auch kreativ - ein Phänomen, das der Komponist schon im Vorspiel mit harten Blechbläserfanfaren aufgreift. Weichere Holzbläser-Klänge fehlen völlig.
Das um 1593/94 entstandene Stück, erzählt von der Rückkehr des römischen Feldherrn Titus Andronicus. Weil er viele Söhne im Krieg verloren hat, verlangt er den Tod eines Sohnes der Gotenkönigin Tamora, die ihm Rache schwört. Der neue Kaiser Saturninus nimmt Tamora zur Frau, diese hetzt zwei ihrer Söhne auf Titus' Tochter Lavinia. Die vergewaltigen sie, schneiden ihr die Zunge heraus und hacken ihr die Hände ab. Die Rache des Titus ist grausam: Er tötet Tamoras Söhne, bereitet aus ihren sterblichen Resten eine Pastete und lädt alle zum Gastmahl. All das ist untermalt von einer Musik, die von Rhythmusinstrumenten bestimmt ist, manchmal schrill, immer aber hart klingt und von einem Singen, das eher ein Textsprechen ist, begleitet wird. Erst die stimm- und sprachlose Lavinia (Karen Fergurson) singt Legatobögen, aber völlig unverständlich und nur auf Vokalen. Der klassische Gesang erscheint als Ausdruck der Verstellung, denn nur Tamoras heimlicher Liebhaber Aaron (Yoonki Baek) singt eine wirkliche Melodie, oft in höchster Lage.

Artikel vom 17.04.2007