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Praxisgebühr kann erlassen werden

Riesige Resonanz auf WESTFALEN-BLATT-Telefonaktion - Experten geben wertvolle Tipps

Bielefeld (WB/ef). Das Telefon stand nicht still. Zahlreiche Leser nutzten gestern die Möglichkeit, sich bei unseren Experten über neue Regelungen der Gesundheitsreform zu informieren. Die Fragen und Antworten betreffen sowohl die gesetzlich als auch die privat Versicherten. Erstaunlich: Viele Anrufer sind derzeit nicht versichert.
Beantworteten gestern zahlreiche Fragen der Leser: Ulrike Schröder vom Verband der Angestellten-Krankenkassen und Jens Wegner vom Verband der privaten Krankenversicherungen. Foto: Hans-Werner Büscher
Meine Frau ist selbständig, allerdings hat sie nur negative Einkünfte. Kann sie bei mir in der gesetzlichen Kasse familienversichert werden?Solange Ihre Frau als Selbstständige arbeitet und ein Gewerbe angemeldet hat, muss sie einen eigenen Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung zahlen. Unabhängig vom realen wird vom Gesetzgeber ein fiktives Einkommen als Grundlage genommen. Das sind 1225 Euro monatlich. Je nach Beitragssatz der Krankenkasse wird darauf der Beitrag errechnet. Sobald Ihre Frau das Gewerbe abmeldet und keine weiteren Einkünfte über 350 Euro monatlich hat und auch keinen Minijob ausübt, kann sie beitragsfrei über Sie bei Ihrer Kasse familienversichert werden.

Meine Tochter war vor einigen Monaten aus der Familienversicherung ausgeschieden. Sie ist arbeitslos, hat keinen Anspruch auf ALG II. Da wir nicht wussten, dass sich meine Tochter innerhalb einer bestimmten Frist freiwillig bei der Kasse hätte versichern müssen, ist sie seit längeren unversichert. Was kann sie tun, zumal sie schwer erkrankt ist?Ihre Tochter kann von sofort an wieder in die gesetzliche Kasse aufgenommen werden. Sie muss sich aber bei der Kasse melden, bei der sie zuletzt versichert war. Seit dem 1. April gilt die Pflicht zur Versicherung für die gesetzlichen Kassen.

Als Selbständiger hatte ich in einer finanziellen Durststrecke meine private Krankenversicherung gekündigt. Unter welchen Umständen bekomme ich eine neue Krankenversicherung?Zunächst: Sie können sich nur privat versichern. Grundsätzlich können Sie natürlich einen ganz normalen Vertrag abschließen. Sollten Sie hingegen schwere gesundheitliche Probleme haben, die einem neuen Vertrag entgegenstehen, können Sie vom 1. Juli 2007 an den brancheneinheitlichen Standardtarif abschließen.
Kein Unternehmen darf Ihren Antrag ablehnen. Auch die bei Vorerkrankungen sonst üblichen Risikozuschläge werden nicht erhoben.

Muss ich als derzeit unversicherter Selbständiger unbedingt zum 1. Juli den privaten Standardtarif abschließen?Nein, die Pflicht zur Versicherung für diejenigen, die in die Privatversicherung gehören, wird erst am 1. Januar 2009 gelten. Bis dahin haben Sie Zeit. Sie sollten allerdings beachten, dass ein Privatvertrag um so teurer wird, je älter man bei Vertragsabschluss ist.

Wie teuer wird der Beitrag für den Standardtarif sein?Das lässt sich derzeit nicht genau sagen. Zum einen ist er abhängig vom Eintrittsalter, zum anderen vom Geschlecht. Gesundheitsbedingte Risiken spielen nur für den Finanzausgleich zwischen den Unternehmen eine Rolle. Im Gesetz ist festgelegt, dass der Beitrag im Standardtarif nicht teurer sein darf, als der durchschnittliche Höchtbeitrag der gesetzlichen Kassen. Das sind gegenwärtig etwa 500 Euro monatlich.

Aus meiner alten Privatversicherung bin ich im Streit geschieden, seitdem bin ich »ohne«. Wegen gesundheitlicher Probleme werde ich wohl im Juli den Standardtarif wählen. Muss ich zu der Privatversicherug zurück, bei der ich mal war?Nein, Sie haben die freie Auswahl unter allen Privatversicherern.

Ich bin im Moment nicht versichert, war aber früher einmal Kassenmitglied. Was würde passieren, wenn ich mich zwar bei der gesetzlichen Kasse zurückmelde, die Beiträge aber nicht zahle?In der Vergangenheit hätte Ihnen die Kasse nach entsprechenden Mahnverfahren kündigen müssen. Das gibt es nun nicht mehr. Allerdings hat das Nichtzahlen der Beiträge andere Konsequenzen: Die Kassen zahlen dann nur Schmerz- und Akutbehandlungen sowie Therapien im Zusammenhang mit Schwanger- und Mutterschaft.

Worin unterscheiden sich Standard- und Basistarif?Der Basistarif, der zum 1. Januar 2009 eingeführt wird, entspricht den Leistungen der gesetzlichen Kassen. Er wird voraussichtlich umfangreicher als der Standardtarif sein. All jene, die über den von Juli 2007 an geöffneten Standardtarif in die Privatversicherung zurückkehren, bekommen von Januar 2009 an automatisch eine Versicherung im Basistarif.

Welche Leistungen sind über den Standardtarif versichert?Der Leistungsumfang orientiert sich an dem der gesetzlichen Kassen für die Krankenbehandlung. Er ist also etwas geringer als bei der Gesetzlichen. Bestimmte Reha-Leistungen sind beispielsweise nicht versichert.

Ich bin 46 Jahre alt und seit zehn Jahren privat versichert. Kann ich, falls mir im Rentenalter die Beiträge zu teuer sind, auch in den Basistarif wechseln? Selbstverständlich steht Ihnen der Basistarif offen. Sie können aber auch in den Standardtarif wechseln. Dann gelten folgende Zugangsbedingungen: Man muss mindestens zehn Jahre versichert sein. Für über 65-Jährige gelten keine weiteren Bedingungen. Ab 55 Jahre kann man in den Standardtarif wechseln, wenn das Einkommen unter der Versicherungspflichtgrenze liegt - aktuell 47700 Euro. Jüngere dürfen in den Standardtarif wechseln, wenn sie eine gesetzliche Rente beziehen.

Muss ich als derzeit Unversicherte unbedingt zu der gesetzlichen Krankenkasse zurück, bei der ich zuletzt war? Kann ich mir auch eine preiswertere Kasse heraussuchen?Sie müssen genau zu der gesetzlichen Kasse zurückkehren, bei der Sie zuletzt waren. Wechseln können Sie regulär erst nach 18 Monaten. Erhöht die Kasse zuvor aber den Beitrag, haben Sie ein Sonderkündigungsrecht.

In dieser Zeitung war eine gute Übersicht zu den Wahltarifen der gesetzlichen Kassen abgedruckt. Welche lohnen sich für wen?Für Menschen mit chronischen Erkrankungen lohnen sich schon aus therapeutischer Sicht die entsprechenden Chroniker-Programme. Selbstbehalt oder Beitragsrückerstattung kommen für diese Personen nicht in Frage. Alle anderen sollten sich genau beraten lassen. Solche Entscheidungen können immer nur individuell getroffen werden.

Wie lange läuft eine Vereinbarung für die Wahltarife?Das ist unterschiedlich. Man bindet sich ein Jahr an Tarife für so genannte besondere Versorgungsformen, also etwa Hausarzttarif oder Chronikerprogramm. Für alle anderen Wahltarife gilt eine Bindungsfrist von drei Jahren, in der auch kein Kassenwechsel möglich ist.

Werden schon alle Wahltarife angeboten, so dass man vergleichen kann?Nein. Manche Kassen warten noch ab, andere auf die Genehmigung durch das Bundesversicherungsamt. Die großen Kassen aber haben beispielsweise bereits Selbstbehaltstarife im Angebot. Auch die Chroniker-Programme sind schon recht weit verbreitet.

Darf die gesetzliche Krankenkasse meinen Rückkehrantrag ablehnen, weil ich chronisch krank bin?Nein, das darf die Krankenkasse nicht.

Welche Zusatzversicherungen kann ich bei meiner gesetzlichen Kasse abschließen?Die gesetzliche Krankenkasse vermittelt das Angebot ihres jeweiligen privaten Kooperationspartners.
Die Zusatzversicherungen sind also immer Privatpolicen. Angeboten werden im Wesentlichen: Wahlleistungen im Krankenhaus, Krankentagegeld, Zahnzusatzversicherungen, ambulante Zusatzpolicen (unter anderem Heilpraktiker) und Auslandsreisekrankenversicherungen.

Ich bin derzeit nicht versichert, gesund und nicht behandlungsbedürftig. Kann ich mich auch erst später in die gesetzliche Kasse zurückmelden?Das ist nicht zu empfehlen. Auf der einen Seite haben Sie keinen Versicherungsschutz, der etwa bei einem Unfall dringend nötig sein kann. Zudem gewinnen Sie mit der »Zeitverschiebung« nichts: Denn wenn Sie sich erst später zurück melden, haben sie die seit dem 1. April aufgelaufenen Beiträge plus fünf Prozent nachzuzahlen.

Muss man auch weiterhin die Praxisgebühr bezahlen?Ja, daran hat sich nichts geändert. Sie kann aber beispielsweise erlassen werden, wenn Sie sich in ein Hausarztprogramm einschreiben.

Artikel vom 13.04.2007