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»Abmahner und Absahner«

Internet eine rechtliche Grauzone

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WB). Das Internet ist nach Einschätzung von Sachkennern in weiten Teilen nach wie vor eine rechtliche Grauzone. Es entwickelt sich daher mehr und mehr auch zu einer »Spielwiese für Juristen«.

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat sich - wie in der Osterausgabe dieser Zeitung be- richtet - mit der umstrittenen Rechtsprechung zur Widerrufsbelehrung im Online-Handel be- schäftigt und festgestellt, dass die Frist zum Widerruf einer Be- stellung erst mit dem Erhalt der Ware beginnt. Die Veröffentlichung der Widerrufsbelehrung auf der Web-Seite sei unzureichend, sie müsse dem Verbraucher in Textform per Post, Fax oder E-Mail zugeleitet werden. »Der Händler muss den Kunden also praktisch zweimal informieren und belehren«, erläutert der auf Informationsrecht spezialisierte Bielefelder Rechtsanwalt Stephan André Schmidt. Den praktischen Nutzen dieses OLG-Beschlusses für den Verbraucher bezweifelt er allerdings. Eine Warenrückgabe nach Monaten oder gar Jahren sei nur dann möglich, wenn die Belehrung in Textform fehlerhaft oder gänzlich unterblieben sei.
Schmidt: »Das OLG Hamm hat sich nur zu den Anforderungen geäußert, die den Unternehmer im Rahmen seiner vorvertraglichen Belehrungspflicht treffen. Zum Inhalt der Informationsmitteilung in Textform hat das Gericht leider nicht Stellung genommen.«
Nicht nur in diesem Punkt hätten sich Juristen mehr Klarheit ge- wünscht. Umstritten sei auch die Dauer der Widerrufsmöglichkeit. Während das Landgericht Paderborn von nur zwei Wochen ausgehe, hätten das Kammergericht Berlin und das OLG Hamburg die Zeitspanne auf einen Monat festgesetzt.
Ein Ärgernis für Internetanbieter sind auch die »Abmahner und Absahner« mit Anwaltslizenz. »Nirgendwo sonst treibt das Abmahnwesen solche Blüten wie in Deutschland«, kritisiert die »Forschungsstelle Abmahnwelle e.V.«, eine Selbsthilfeeinrichtung für von Massenabmahnungen Betroffe.
Deutschland sei inzwischen ein Eldorado für Abmahner jeder Couleur, möglicherweise eine Folge der »Anwaltsschwemme«. Die Gesamtzahl der Anwälte ist nach Erhebungen der Anwaltskammern seit 1995 um etwa 80 Prozent auf rund 135 000 angewachsen.
Viele von ihnen leben offenbar vom Internet. Denn »Abzocker« brauchen nur einen strittigen Begriff in eine Suchmaschine einzugeben, um anschließend alle gefundenen Website-Inhaber abzumahnen und saftige Rechnungen oder Kostennoten an sie zu verschicken. Da Websites überall abrufbar sind, kann sich ein Anwalt sogar frei aussuchen, bei welchem Gericht er klagt - je nachdem, wo die Rechtsprechung für ihn günstig erscheint. Bei einer Kammer für Handelssachen in Paderborn sind nächste Woche an einem einzigen Sitzungstag allein drei Fälle aus anderen Bundesländern anhängig.
»Manche Anwälte leben davon und können daran gut verdienen«, sagt der Bielefelder Rechtsanwalt Stephan Schmidt. Sein Hamburger Kollege Dr. Martin Bahr wird noch deutlicher. Er spricht von »ständigem Rechtsmissbrauch« und stellt fest: »So entwickelt sich das Internet zum Rechtsanwaltsversorgungswerk«.
Auf diese Weise wird die Belastung deutscher Gerichte rasch weiter beträchtlich zunehmen. Und dadurch wiederum könnte der Verbraucherschutz sogar noch mehr ins Hintertreffen geraten.

Artikel vom 14.04.2007