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Was unsere Gesellschaft
spaltet und was sie kittet

Zwölf neue Vorträge im »Forum Offene Wissenschaft«

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Was treibt sie auseinander? Diesen drängenden Fragen widmen sich die Referenten der Erfolgsreihe »Forum Offene Wissenschaft« in der Universität.

Das war fast wie im Paradies, als die Bundesdeutschen in der Vollbeschäftigung lebten und der starke Sozialstaat seine sozialen Hängematten spannte. Heute hingegen wankt die Demokratie, und der Zusammenhalt der Bürger in Solidarität und Freiheit hat Risse bekommen. Namhafte Wissenschaftler, zumeist an der Uni Bielefeld forschend und lehrend, aber auch von anderen deutschen Hochschulen, die diesen Prozess kritisch begleiten, eröffnen dem Publikum tiefe Einblicke in eine Gesellschaft in der Krise.
Und Bielefeld mittendrin. In diesem Jahr lädt das Forum zu einer Podiumsdiskussion ein, in der gesamtgesellschaftliche Probleme anhand der Stadt Bielefeld hautnah vorgeführt werden. Wie ernst ist die Lage am Teuto? »Soweit wir vorab erfahren konnten, gibt es in Bielefeld zu jedem Problem eine Institution, die Lösungen produziert oder zumindest entwickelt«, versichert der Pädagoge Prof. Ludwig Huber. »Die Abwehrkräfte gegen die Krise sind hier überdurchschnittlich gut organisiert.«
»Für die Lösung der Probleme ist nicht die Wissenschaft, sondern sind Politik und Bürger zuständig«, meint der Soziologe Prof. Karl Otto, einer der Initiativkräfte des Forums. »Wissenschaftler legen den Finger in offene Wunden. Ihre Analysen mögen die spaltenden Kräfte in unserer Gesellschaft betonen, liefern aber die Fakten, die als Grundlage politischer Entscheidungen unentbehrlich sind.«
Der Wissenschaft geht es wie der Friedensbewegung: Sie deutet auf Missstände hin - und wenn sie Erfolg hat, werden ihre Warnungen widerlegt.
Dafür, dass die zwölf Vorträge nicht im gefürchteten Wissenschaftschinesisch gehalten werden, sorgt Marion Ernsting als Mittlerin zwischen dem Laienpublikum und den Spezialisten. Rappelvolle Hörsäle dokumentieren den Erfolg: Zu den Terminen des Forums strömen meist bis zu 300 interessierte Bürger - frühes Erscheinen sichert also die besten Plätze.
»Das Forum geht jetzt in sein 22. Semester, und erzeugt eine überwältigende Resonanz«, konstatiert Prof. Huber erfreut. Die Reihe, die ursprünglich als fächerübergreifendes Angebot für Studenten gedacht war, zieht tatsächlich auch den akademischen Nachwuchs an - die Teilnahme an den Vorträgen und ihre Auswertung wird mit examensrelevanten Leistungspunkten belohnt.
Was ist der Kitt, der Individuen zur Gesellschaft zusammenschweißt? Sind es tradierte Werte? Ist es die Religion? Braucht es dafür eine Leitkultur? Im Forum kritisiert man den Stillstand der Politik. Und man beobachtet mit leichtem Grusel die Maßnahmen, Sicherheit auf Kosten der Freiheit zu etablieren - beispielsweise mit Hilfe der Bundeswehr als innerstaatliche Polizei.

Artikel vom 11.04.2007