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Ein Feld gegen das Vergessen

Diakonisches Werk Minden legt Friedhof für mittellose Menschen an

Von Dietmar Kemper
Minden (WB). Zu Lebzeiten waren sie die Außenseiter der Gesellschaft und nach ihrem Tod droht ihnen eine Beerdigung zweiter Klasse. Um den Besuchern der Suppenküche ein ehrenvolles Andenken zu bewahren, hat Ulrich Treude vom Diakonischen Werk Minden extra für sie einen Friedhof angelegt.
Guten Appetit: Brigitte Decker verteilt Essen an Bedürftige in der Suppenküche des Diakonischen Werkes in Minden.

Ein 300 Quadratmeter großes Feld auf dem Nordfriedhof bietet Platz für 20 Erd- und etwa 40 Urnenbestattungen. Ehrenamtliche Mitarbeiter und Besucher der Suppenküche kofferten Wege aus und bepflanzten das von der Stadt bereitgestellte Areal; seit vergangener Woche ist der Friedhof für die ärmsten Mitglieder der Gesellschaft fertig. »Es geht immer mehr Friedhofskultur verloren, wir wollten ein Zeichen setzen«, sagte Ulrich Treude dieser Zeitung.
»Vorher sind diese Menschen anonym im Urnenfeld bestattet worden, oft gab es nicht mal eine Trauerfeier«, beschreibt der Sozialarbeiter, was ihn schon lange bekümmerte. Ulrich Treude leitet das »City Center«, wie die Suppenküche des Diakonischen Werkes an der Brühlstraße unverdächtig heißt. Einen Euro kostet das Mittagessen, und immer mehr Menschen kommen. Waren es vor sechs Jahren täglich nur 25 Gäste, freuen sich heute mehr als doppelt so viele über eine warme Mahlzeit.
Arbeitslosigkeit, Scheidung, Schulden, Krankheit, Alkoholismus: Die Gründe für die Abwärtsspirale sind vielfältig, am Ende stehen Not und Isolation. »Hartz IV reicht oft nicht aus, das City Center hilft, über die Runden zu kommen«, erläuterte Treude (60). Regelmäßig isst er mit den Gästen zu Mittag und weiß, dass die Alleinstehenden als »schwarze Schafe der Familie« gelten und abgeschrieben sind. Damit sie auf dem Friedhof nicht zum bedeutungslosen Niemand degradiert werden, griff das Diakonische Werk das Beispiel der Dortmunder Wohnungslosenhilfe auf und legte das Gräberfeld an.
Es wird nicht nur von ehrenamtlichen Mitarbeitern der Suppenküche, sondern auch von deren Gästen gepflegt. Wer stirbt, bekommt ein würdevolles Begräbnis und ein Schild mit seinem Namen. Aber auch an diejenigen, die in den Jahren zuvor starben, dachte Treude: Die Namen von 42 Männern und Frauen wurden in eine Säule eingraviert, zudem listet eine Tafel in der Suppenküche Namen und Spitznamen der ehemaligen Gäste auf. »Es kann doch nicht sein, dass diese Menschen zu Lebzeiten Originale waren, aber nach ihrem Tod die Spuren vollständig verwischt werden«, empört sich Treude.
Auch wenn die Angehörigen der Außenseiter nichts mehr von ihnen wissen wollten, hätten sie »Freunde in der Szene« gehabt, die Abschied nehmen wollen. Wenn die Ordnungsämter im Todesfall nicht binnen 48 Stunden einen Angehörigen finden, der die Beerdigung regelt, sollten sie ihn anrufen, bietet Treude an. Jeder habe ein Recht auf ein würdiges Ende.

Artikel vom 06.04.2007