11.04.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

In Dublin tanzt
niemand aus
der Reihe

Ein Besuch im Trainingszentrum

Von Christina Ritzau
(Text und Foto)
Dublin/Bielefeld (WB). Die Tänzerinnen und Tänzer der Show »Riverdance« machen mit ihren Füßen Musik und begeistern die Zuschauer in aller Welt: Was auf der Bühne so leicht wirkt, setzt härteste Probenarbeit voraus. Das WESTFALEN-BLATT hat die »Riverdance«-Truppe in ihrem irischen Trainingszentrum besucht.

ÊFür die Einwohner der irischen Hauptstadt ist es ein ganz normaler Dienstagnachmittag. Ein Tag, wie jeder andere, mit viel Wind, ein bisschen Sonne, ein paar Wolken und hier und da einem Stückchen blauem Frühlingshimmel. Ich stehe in einer ruhigen Seitenstraße von Dublin vor einem alten Fabrikgebäude. Sie wirkt nicht sehr einladend, diese »Factory«, wie die Dubliner ihre Fabrik nennen. Alt, grau und gewöhnlich ist sie. Aber hier spielt sich etwas ganz Besonderes ab: Hier treffen sich die besten Tänzer Irlands Tag für Tag und stecken ihre ganze Energie in die Proben für das wohl berühmteste Tanzspektakel des Landes: »Riverdance«.
Kaum dass ich den Probenraum betreten habe, schlägt mir eine eigenartige Mischung aus Anspannung, Routine und Konzentration entgegen. Die Tänzer sind mit letzten Dehn- und Aufwärmübungen beschäftigt. Kurze Zeit später formieren sie sich äußerst professionell. Sie schreiten, sie schleichen nahezu lautlos auf die Tanzfläche, und plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, geht ein allumfassendes Donnern von ihren wirbelnden Füßen aus, das den ganzen Raum einzunehmen scheint und sich auch von den dicken, grob gemauerten Wänden der »Factory« nicht ersticken lässt.
Obwohl die Halle einen gewissen Charme aufweist, brauche ich meine ganze Phantasie, um darin ein bisschen von dem späteren Bühnenglanz zu erkennen. Doch die Tänzer vom Team »Corrib«, das genau wie die anderen beiden »Riverdance«-Gruppen nach einem irischen Fluss benannt ist, beeindrucken selbst mit sparsamer Kulisse im Hintergrund und in Trainingshosen statt Kostümen. Denn die Kunst, die sie mit ihren Füßen produzieren, ein rasantes Staccato, wird in einer Fabrikhalle genauso offensichtlich wie live auf der Bühne.
Jeden, der »Riverdance« schon einmal live erlebt hat, haben die steppenden Wirbelwinde, deren Herzen für die Grüne Insel schlagen, in ihren Bann gezogen. Die einzigartige Mischung aus keltischer Musik, mitreißenden Instrumental- und bewegenden Gesangsstücken und dem traditionellen irischen Tanz übt seit Jahren ihren Zauber auf ein weltweites Publikum aus.
Die Musik berührt, und die Energie, die die Tänzer versprühen, springt auf die Zuschauer über: Ein gewaltiges Meer von synchron auf die Bühnenbretter donnernden Füßen, von auf- und abhüpfenden Körpern, die keine Schwerkraft zu kennen scheinen. Die »Riverdancer« präsentieren sich als eine perfekt eingespielte Formation, als untrennbare Einheit, bei der niemand aus der Reihe tanzt.
Und dabei erzählen sie auf ihre ganz eigene Art eine Geschichte, bei der erfreulicherweise nicht eine triviale Handlung im Mittelpunkt steht, die nur aus Kitsch und vorhersehbarem Schmu zusammengewürfelt ist. »Riverdance« spricht seine eigene Sprache, und folgt dabei der emotionalen Linie, der Lebenslinie eines Flusses, der irgendwo entspringt, dem der Regen Leben einhaucht, der von vielen Elementen beeinflusst wird, aber unaufhaltsam seinem eigenen Weg folgt, eingebettet in die unterschiedlichsten Landschaften, bis er schließlich im Meer mündet.
Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt. »Eine Metapher für das Leben der Menschen«, findet Bill Whelan, ohne dessen Kompositionen es »Riverdance« in der heutigen Form nicht gäbe.
Und genau wie ein Fluss auf seiner Reise gelenkt wird und sich verändert, hat sich auch das Programm verändert und ist im Laufe der Jahre immer komplexer geworden. Die Tänzer von haben ihren Touren in ferne Länder viele kleine Stücke fremder Kulturen mitgebracht. So haben Elemente von überall auf der Welt ihren Weg in die Show gefunden, sie immer mehr verfeinert und zu einem unvergesslichen Erlebnis für die Sinne gemacht.
Schon geht es wieder auf die Reise: Die Formation »Corrib« hat Anfang der Woche in Manchester eine neue Tour gestartet. Ab September sind die »Riverdancer« auch wieder in Deutschland zu Gast (siehe Infokasten), um auf Bühnen, die in mythische Orte verwandelt werden, ihr Können zu zeigen.
»Sie machen mit ihren Füßen Musik«, beschreibt Julian Erskine, leitender Produzent von »Riverdance«, die künstlerische Leistung der Steptänze. Diese Bescheidenheit, die trotz des unglaublichen Erfolgs nicht verschwunden ist, kann ich auch bei den Tänzern erkennen. Ihre ungezwungene Natürlichkeit, die Bereitwilligkeit, mit der sie auf Fragen antworten, und der Spaß am Tanzen, der aus ihren Augen strahlt und bei jeder Bewegung zu sehen ist, machen sie so sympathisch. »Das ist die irische Mentalität«, sagt der Tänzer und Trainer Breandán de Gallaí voller Überzeugung.
Auch wenn es ihnen nicht immer anzusehen ist, arbeiten die »Riverdancer«, die oft schon von Kindesbeinen an in den Tanzschuhen stecken, doch sehr hart. Für viele ist genau das ihr Lebenstraum. »Sie sind stolz darauf, Irland und seine Kultur auf der Bühne präsentieren zu können«, weiß Erskine. Worin genau das Geheimnis von »Riverdance« liegt, das kann auch er sich nicht so genau erklären. Aber vielleicht ist es gerade das, dieses Mythische, das der Show in ihrem nur unwesentlich veränderten Ablauf seit Jahren solchen Erfolg beschert. »Jedes Mal so zu tanzen, als wäre es zum ersten Mal«, sagt de Gallaí, das sei das Ziel der Tänzer. Sie möchten die ÊZuschauer einfach glücklich machen.
Und wer weiß: Vielleicht schlummert in einigen der tanzenden Kinder im Publikum auch ein verborgenes Tanztalent. Vielleicht stehen sie in ein paar Jahren selbst auf der Bühne und präsentieren stolz ein Stück irischer Kultur. Denn ein Abflauen des »Riverdance«-Fiebers ist nicht abzusehen, und Erskine sagt: »Wir führen die Show so lange auf, wie die Menschen sie sehen wollen.«

Artikel vom 11.04.2007