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»Landkarte« verrät
Themen und Trends

Klassifizierung von Beiträgen im Internet

Bielefeld (sas). Die Datenmenge im Internet wächst rasant und ist kaum noch zu überblicken. Benutzerfreundlich ist diese Flut kaum noch.

Das ist ein Problem. Daneben diskutieren die »User« im weltweiten Netz über Gott und die Welt, tauschen Kochrezepte aus oder geben sich Tipps zum Gebrauch der neuesten Kamera. Das ist eine Chance. Und das erlaubt Rückschlüsse auf Meinungen und Trends - wenn man sie denn herausfiltern kann. Wissenschaftler der Universität Bielefeld arbeiten daran.
»Customer Relation Management« ist für Unternehmen wichtig: Was denken die Kunden? Was wollen sie? Was kritisieren sie? Wie sind sie anzusprechen? Wer über das Internet Bücher bestellt, gibt einiges über sich preis: Die Titel sind mit seinem Namen zu verknüpfen, Vorlieben zu erkennen. Aber auch wer sich in Online-Foren oder Weblogs tummelt, verrät etwas von sich. »Themen und Trends aus diesen unstrukturierten Beiträgen zu erkennen und automatisch zu klassifizieren, ist ein Ziel«, erklärt Jörg Ontrup, Doktorand an der Technischen Fakultät.
Wie das aussehen kann, führt er vor anhand des Forums eines Verbraucherschutzverbandes, mit dem die Fakultät kooperiert. 20 000 Anfragen rund um das Thema Essen sind dort eingegangen. Die Fragen und die Experten-Antworten werden nun abgebildet - auf einer Art »Landkarte« in Form einer Hyperbel. Sie basiert auf dem Modell des Finnen Kohonen nach dem Vorbild des Gehirns, das selbständig lernt und ähnliche äußere Reize in benachbarten Hirnarealen verarbeitet. Ebenso werden verwandte Fragen (und Antworten) zu einem Thema auf dieser Landkarte benachbart abgebildet.
»Acht Hauptthemen sind in der Mitte angeordnet, nach außen hin werden sie immer weiter spezifiziert«, erklärt Ontrup. In den Außenbereichen der Hyperbel sind »Knoten« mit Unterthemen (den Neuronen im Gehirn entsprechend) abgebildet. Ihr Inhalt wird auf weitere Tochterknoten - weiter außen auf der Karte - immer feiner aufgeteilt. Wie mit einer Lupe können Schlüsselwörter beliebig hervorgehoben und kann ausgesucht werden, welche Information es sein soll. Interessiert beim Suchbegriff »Weintraube« ihr Vitamingehalt, die Frage, ob sie für Kinder empfehlenswert sind oder die Belastung mit Pestiziden? Wer sich für Pestizide entscheidet, erhält nicht nur die Antwort des Experten, sondern auch den Hinweis auf die schon ältere Anfrage einer anderen Verbraucherin, die sich nach der Pestizidbelastung bei Rosinen erkundigt hatte. »Anders als bei Suchmaschinen müssen hier nicht neue Suchbegriffe eingegeben werden, wenn benachbarte Fragestellungen interessierten«, betont Prof. Dr. Helge Ritter. Einfaches »Weiterzoomen« genügt.
Darüber hinaus kann die dreidimensionale Landkarte verraten, welche Themen wann hochaktuell waren: Die Knoten, die sie symbolisieren, schießen Pilzen gleich in die Höhe. März 2006? Vogelgrippe und Toxoplasmose standen im Fokus des Interesses. Und Acrylamid in Chips und Pommes frites beherrschte die Diskussion bereits 2002. »Welche Themen in welchem Zusammenhang angeschnitten wurden, ist deutlich zu erkennen«, erläutert Ontrup.
Für den Nutzer hat die Darstellung von Themen nicht in elendlanger Liste mit 10 000 Seiten, sondern als topographische Karte den Vorteil der leichteren Handhabung. »Auf der Karte kann man durch eine abstrakte Datenwelt navigieren, sie steigert unsere Mobilität in dieser Welt«, beschreibt Ritter das Prinzip. Technik komfortabler, menschenfreundlicher zu machen, ist ohnehin sein Anliegen in der Forschung. Eine räumliche Orientierung, die einen intuitiven, vertrauten Zugang ermöglicht, trägt dazu bei.
Derzeit wird das Kartensystem vom Kooperationspartner der Uni getestet, bislang nutzen es die Experten, um Fragen von Verbrauchern zuzuordnen. In nicht zu ferner Zukunft könnte es ein marktfähiges Produkt sein.
»Unternehmen könnten Interesse daran haben zu analysieren, wie sie in Internet-Foren abschneiden; sie könnten Dynamiken erkennen, bevor sie von einem Thema überrollt werden. Und Mitarbeiter eines Call-Centers finden mittels der Karte schneller Antworten auf Kundenanfragen«, nennt Ritter Anwendungsbeispiele.

Artikel vom 13.04.2007