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»Sitzenbleiben muss abgeschafft werden«

Schulforscher Ernst Rösner: Durch Leistungsdruck werden die Noten nicht besser

Von Dietmar Kemper
Dortmund (WB). Gymnasien in Essen und Köln haben das Sitzenbleiben bereits abgeschafft. Die Zahl der Schüler mit schlechten Noten ging danach deutlich zurück.

»Diese Schulen konnten die Kosten sparen, die sonst für Unterricht und Betreuung der sitzen gebliebenen Kinder angefallen wären«, sagte Ernst Rösner (58) vom Institut für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund dieser Zeitung. Mit dem Geld sei neues Personal eingestellt und die Förderung aller schwachen Schüler verbessert worden.
Für die weit verbreitete Auffassung, dass Druck für bessere Noten sorgt, gebe es keine wissenschaftlichen Beweise, sagte Rösner: »Ob ein Kind lernen will oder vielleicht gar nicht kann, hat nichts mit Versetzung oder Nichtversetzung zu tun. Das Wiederholen einer Klasse ist eher Zeitverschwendung, die Leistung eines Schülers wird dadurch nicht deutlich gesteigert.« Während das Ausland das Sitzenbleiben vielfach abgeschafft habe, falle Deutschland der Abschied von Traditionen besonders schwer. Rösner: »Eltern beurteilen Schule so, wie sie sie selbst erlebt haben. Deshalb ist in der Gesellschaft die Meinung populär, dass man das Sitzenbleiben nicht abschaffen sollte.« Solche »Zwangsmaßnahmen« seien aber nicht mehr zeitgemäß.
Um mehr Förderkurse und Hausaufgabenhilfe an deutschen Schulen anbieten zu können, müssten sie flächendeckend auf Ganztagsbetrieb umgestellt werden. »Wie in den Gymnasien mit ihrem vollgepackten Stundenplan noch Förderunterricht untergebracht werden soll, ist mir schleierhaft«, betonte der Dortmunder Wissenschaftler. Für schwächere Schüler räche sich die Konzentration des Lernstoffs auf zwölf Jahre, damit das Abitur früher möglich ist. In kleineren Schulen mit weniger Kindern falle die Versager-Quote niedriger aus. Hier funktioniere individuelle Förderung noch am ehesten.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung plant derzeit nicht, das Sitzenbleiben abzuschaffen, befürwortet aber gleichzeitig Modellprojekte an Gymnasien wie in Essen und Köln. »Wenn ein Schüler über längere Zeit krank war, ist es durchaus sinnvoll, dass er die Klasse wiederholt«, sagte die Sprecherin des Schulministeriums Nina Schmidt. Für sinnvoll hält sie Motivationstraining, wie es bereits an einigen Ganztagsschulen angeboten wird.

Artikel vom 05.04.2007