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Auch der Papst ist Stammkunde

Bielefeld ist Sitz der einzigen deutschen Manufaktur für Hemd & Haube

Von Burgit Hörttrich
und Bernhard Pierel (Fotos)
Bielefeld (WB). »Urban« ist strahlend weiß und breiter als beispielsweise »Pius«. »Das ist ein römischer Kragen«, sagt Heinrich Bracksiek (77) und ergänzt: »Immer wenn Papst Benedikt XVI. einen weißen Kragen trägt, dann kommt der von uns.« »Uns«, das ist der 1888 gegründete Familienbetrieb Bracksiek & Hemmelskamp - Deutschlands einzige Manufaktur für Kragen, Hemden, Hauben für Priester und Ordensfrauen, Turniertänzer und Orchestermusiker.

Und nicht nur Papst Benedikt XVI. trägt Kragen aus Bielefeld - seine Vorgänger taten es auch. Vor Ostern geben Telefon und Fax keine Ruhe. Heinrich Bracksiek, der, unterstützt von seinem Sohn Klaus-Henrich, den Familienbetrieb in dritter Generation führt: »Alle, wirklich alle, wollen jetzt noch neue Hemden, frische Kragen oder Hauben.«
Seine acht Näherinnen tun, was sie können, um die Kundschaft glücklich zu machen. Wenn der Papst zu Ostern die Stadt und den Erdkreis (Urbi et Orbi) segnet, dann erkennt Bracksiek sofort: »Er trägt einen ÝUrbanÜ.« Zum päpstlichen Lieferanten wurde die Wäschefabrik aus der Bielefelder Luisenstraße nach einer Rom-Reise des Seniors. Sohn Klaus-Henrich: »Ein Priester, für den wir gearbeitet haben, hat meinen Vater mitgenommen und ihn den einschlägigen Schneidern vorgestellt. Seitdem beliefern wir sie - und zwar alle.«
Deshalb tut man es bei Bracksiek & Hemmelskamp mit einem Schulterzucken ab, was ganz Rom erregt: nämlich, ob der Papst sich nun weiter von Gammarelli oder doch von Mancinelli oder von Balliconi ausstatten lässt. Bracksiek versichert: »Das sind alles unsere Kunden.«
Bracksiek kümmert sich jedoch nicht nur um vatikanische Großaufträge, sondern auch um die kleine Einzelbestellung. Heinrich Bracksiek macht noch schnell ein Paket mit einem Priesterhemd und drei Kragen postfertig, bevor er die Hauben zeigt. Denn außer 120 Kragenformen hat die Manufaktur auch 400 Haubenmodelle im Angebot. »Kaiserswerth«, »Schönstatt«, »Schwäbisch Hall«, »DRK« steht auf Kartons mit Hauben.
»Beim DRK tragen sie ja keine Hauben mehr. Überhaupt, auch Krankenschwesterhauben existieren ja praktisch nicht mehr«, bedauert Bracksiek. Seine Firma beliefert die Diakonissen in Bethel, aber auch dort seien die Hauben schlichter geworden, bedauert er. »Hier, diese Haube muss 24 Sticklöcher haben, die zu binden ist eine Wissenschaft.« Die neue Kaiserswerther Haube habe inzwischen sogar schon Klettverschluss. Moderne Zeiten . . .
1888 gründete Heinrich Bracksieks Großvater die Wäschefabrik; der Firmensitz ist damals wie heute derselbe. Und das Firmenschild auch. Vor 118 Jahren konzentrierte sich die Produktion zunächst auf Hemden mit aufknöpfbarem Stärkekragen. »Solche Vatermörder gibt es heute noch«, lacht der Seniorchef.
Nach dem frühen Tod des Firmengründers übernahm dessen Ehefrau Wilhelmine das Unternehmen. Weil Frauen Anno dazumal als nicht geschäftsfähig galten, gehörte für wenige Jahre ein Teilhaber namens Hemmelskamp der Firma an. 1936 übernahmen die Eltern des heutigen Seniorchefs den Betrieb. Wie lange die Familientradition weiterlebt, vermag Heinrich Bracksiek nicht zu sagen, aber: »Vor sechs Wochen wurde mein Urenkel geboren.«
Nach dem Zweiten Weltkrieg brach bei Bracksiek & Hemmelskamp eine neue Zeitrechnung an: Die neuartige Permanentversteifung von Kragen und Hauben hielt Einzug. Maschinelles Kernstück des Betriebs: die Presse, Baujahr 1975. Ein auf 160 Grad erhitzter Stempel drückt 18 Sekunden lang gegen die Kragen, anschließend folgt eine kalte Pressung. Dann müssen die Teile nie gestärkt werden.
Während die Nachfrage nach Hauben abnimmt, kommen neue Käufer hinzu: Turniertänzer, die steife Kragen und Hemdbrüste aus feinem Schweizer Piquee genau so zu schätzen wissen wie die besondere Ärmelform der Bracksiek-Hemden, die zudem nicht aus der Hose rutschen dürfen. Und Musiker, die Hemd und permanentversteifte Kragen unterm Frack tragen. Oder Theater. Eine Reihe von »halben Hemden« warten auf Auslieferung: ärmellos, im Rücken Klettverschluss, nur die Hemdbrust wirkt makellos. Ein Hamburger Theater hat Spezialhemden für die Aufführung von »Dirty Dancing« bestellt. Nur gut, dass solche Produkte in einem anderen Raum gelagert werden als die Hemden und Kragen für den Vatikan . . .

Artikel vom 06.04.2007