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In den Ferien zur Schule

Lerncamps für Wackelkandidaten - Wissenschaftler skeptisch

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Haupt-, Real- und Gesamtschüler mit schlechten Noten haben in Hessen keine Ferien. In »Ostercamps« der Landesregierung holen 950 Jungen und Mädchen Unterrichtsstoff nach. Wissenschaftler und Gewerkschaften lehnen das Projekt als belastend und überflüssig ab.
NRW-Schulministerin Barbara Sommer (CDU).

Seit dieser Woche sitzen Jugendliche, deren Versetzung gefährdet ist, an 29 hessischen Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie drei Schullandheimen über ihren Büchern. Neben Fachwissen werden ihnen moderne Lernmethoden vermittelt, die die Motivation fördern sollen. Die Kosten übernimmt die Landesregierung, die Teilnahme an den »Ostercamps« ist freiwillig.
In Nordrhein-Westfalen gibt es den Unterricht in den Ferien noch nicht. Das im neuen Schulgesetz festgeschriebene Recht jedes Schülers auf individuelle Förderung solle während des Schuljahres eingelöst werden, sagte die Sprecherin des NRW-Schulministeriums, Nina Schmidt, gestern dieser Zeitung. Ministerin Barbara Sommer aus Bielefeld sei die Sitzenbleiberquote zu hoch, sie wolle aber frühzeitig durch gezielte fachliche Unterstützung »Ehrenrunden« verhindern - und nicht erst in Lerncamps in den Ferien.
Fünf Prozent der Schüler eines Jahrgangs bleiben in Nordrhein-Westfalen sitzen. Im Schuljahr 2005/2006 mussten 13 028 Haupt-, 14 058 Real- und 2923 Gesamtschüler sowie 9083 Gymnasiasten die Klasse wiederholen. An den Gymnasien verdoppelte sich die Zahl der Sitzenbleiber in der Sekundarstufe I seit 2000 von 2,3 auf 4,6 Prozent, an den Hauptschulen blieb die Quote gleich, an Gesamt- und Realschulen stieg sie leicht an.
Das Sitzenbleiben abzuschaffen fordert das Institut für Schulentwicklungsforschung (Ifs) in Dortmund. »Dieses Druckmittel, um zu mehr Lernen anzuhalten, bringt pädagogisch nichts, ist nicht mehr zeitgemäß und bindet zudem viele Lehrerstellen«, sagte der Wissenschaftler Ernst Rösner dieser Zeitung. Die Ostercamps in Hessen belasteten die Kinder einseitig, weil ihnen suggeriert werde, dass nur sie an den schlechten Schulnoten schuld seien.
Rösner: »Bevor ich den Schülern die Ferien raube, muss ich die Schule in die Pflicht nehmen. Hat sie genügend Förderkurse und Hausaufgabenhilfe angeboten?«
Auch die Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW-Ostwestfalen-Lippe) mahnte, die Wackelkandidaten schon während des Unterrichts zu fördern. Vorsitzende Sabine Unger (Detmold): »Wissenslücken müssen gefüllt werden, wenn sie sich auftun. Die Ferien sollte man dagegen den Kindern gönnen.« OWL-Seite: Hintergrund

Artikel vom 05.04.2007