05.04.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Stinkende, laute Motorwagen verdrängen die Rikschafahrer

Trotz Luftverschmutzung: Behörden sperren Straßen für die »Rad-Taxis«

Von Bernhard Hertlein
Dhaka/Kolkata/Chennai (WB). »Ho, Rikscha!« Ertönte in indischen Städten dieser Ruf, sprang jeder Fußgänger früher schnell zur Seite. Heute schreit kein »Rikschawalla« mehr. Eingezwängt zwischen wild hupenden Lkw, verbeulten Bussen, privaten neumodischen Toyotas, alten Ambassadors und den dreirädrigen Scootern (Tuk Tuk) würde man sie auch kaum verstehen.

Die Fahrradrikscha, das asiatische Beförderungsmittel schlechthin, rollt auf drei Rädern. Vorne tritt der Fahrer in die Pedale und lenkt das Gefährt. Hinter ihm, auf einer - jedenfalls für schmale Asiaten - bequemen Bank genießen seine Fahrgäste idealerweise die Fortbewegung in der freien Luft. Das Tempo ist gemählich. Es entstehen keine Abgase, und der Lärm hält sich in Grenzen.
Seinen Ursprung hat das Fahrzeug vermutlich in Japan. Dort erhielt es auch seinen Namen: »Jin Riki Sha«, zu übersetzen etwa mit »Menschenkraftwagen«.
So richtig populär wurde die Fahrradrikscha in den 1930er Jahren in Süd- und Südostasien. Bei ihrem Vormarsch verdrängte sie an vielen Orten den früheren Pferde- oder Ochsenkarren. Allerdings geriet die Rikscha ihrerseits zunehmend in Konkurrenz zu den neuen Motorwagen. Um 1960 wurden in Pakistan die ersten Gesetze gegen die Rikscha erlassen.
Eine Besonderheit stellt die von Menschenhand gezogene Rikscha dar. Sie ist langsamer, aber in engen Gassen sehr beweglich. In China wurde sie zum Symbol der Ausbeutung von Menschen durch Menschen und im Zuge der Kulturrevolution verboten. Heute gibt es von Menschenhand gezogene Rikschas in nennenswerter Zahl noch in Kolkata (früher Kalkutta). Zufall oder nicht: Kolkata ist die Hauptstadt von Westbengalen, einem der wenigen Staaten, in denen eine kommunistische Partei seit Jahrzehnten bei demokratischen Wahlen siegreich ist.
Wo das Automobil auf den Straßen Platz greift, verdängt es die Fahrradrikscha. Heute ist sie in Chinas aufstrebenden Megastädten bereits ein seltener Anblick. Das Gleiche gilt für Singapur und Saigon, für Colombo und Jakarta. Selbst in Indien, wo schon wegen der Bevölkerungsdichte viele für die Rikscha als Beförderungsmittel spricht, befindet sie sich im schnellen Rückzug.
Seit etwa 20 Jahren werden immer mehr Städte auf dem Subkontinent »rikschafrei«. Der neue Teil der Hauptstadt Delhi machte den Anfang. Heute muss man selbst in Mittelstädten wie Calicut in Kerala, wo einst Vasca da Gama indischen Boden betrat und die Ära der Kolonialgeschichte begann, lange suchen, um noch eine Fahrradrikscha zu finden.
Die Behörden setzen viel daran, dem motorisierten Verkehr freie Fahrt zu ermöglichen. Da werden Extraspuren für Rikschas eingerichtet, in denen sie sich aber nicht gegenseitig überholen können. Oder es werden Straßen komplett gesperrt -Êbis hin zu ganzen Stadtteilen. Besonders krass geht die Verwaltung in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, vor. Wer hier in der Fahrradrikscha von einem Ende zu anderen fahren möchte, muss mehrmals »umsteigen« und zu Fuß eine »verbotene« Straße überqueren. Das machen natürlich die wenigsten. Zwischendurch kann es zudem passieren, dass ein Polizist dem Rikschafahrer einen Reifen zerschneidet, weil dieser -Êangeblich oder wirklich -Êein Verkehrsgebot überschritten hat.
Auch macht Rikschafahren wenig Spaß, wenn man rechts und links mit Abgasen eingenebelt wird. Die Megastädte Südasiens beobachten hilflos die rapide ansteigende Luftverschmutzung. Mehr Fahrradrikschas wären ein Gegenmittel. Doch davon wollen die Behörden nichts wissen.
So kommt es, dass die einzige Region, in der die Zahl der Fahrradrikschas steigt, das westliche und südliche Europa ist. Auch in deutschen Städten wie Freiburg und Hamburg, Berlin, Rostock, Schwäbisch Hall und selbst Bielefeld ziehen im Sommer schicke »Velotaxi« die Blicke auf sich. Ihr Kundenkreis beschränkt sich allerdings auf mutige Touristen.
In Indien werden die Rikschawallas indessen arbeitslos. Nur ein »Verkehrsteilnehmer« könnte möglicherweise noch schneller aus dem Straßenbild verschwinden: die von Ausländern gern als »heilig« bezeichnete indische Kuh. Bei ihr braucht es keine komplizierten Vertreibungspläne: Das kluge Rind geht freiwillig. So viel Hektik wie auf einer indischen Straße geht auf keine Kuhhaut.

Artikel vom 05.04.2007