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Die Fronten
sind verhärtet
Der Streit zwischen der Bürgerinitiative zum Erhalt der Paul-Gerhardt-Kirche und dem Evangelischen Kirchenkreis, der das Gotteshaus an die Jüdische Kultusgemeinde verkaufen will, beschäftigt die Menschen. Ein ehemaliges Gemeindeglied schreibt:
Ich verfolge aus Nicaragua Ihre Berichterstattung über die Kirchenbesetzung der Paul-Gerhardt-Kirche - mit großer Anteilnahme, aber vielleicht auch der nötigen Distanz von meiner ehemaligen Gemeinde.
Der Konflikt und mit ihm auch die Berichterstattung ist an einem sehr verzwickten Punkt angelangt. Alles ist dermaßen verflochten, dass man sich leicht in Einzelheiten verliert und dabei den eigentlichen Konflikt aus den Augen verliert.
Wie war denn der gleich? Da war eine kleine Gemeinde, die mit einer größeren fusionierte. Diese kleine Gemeinde, die Paul-Gerhardt-Gemeinde, war aber nicht irgendeine Gemeinde. Diese Gemeinde war für ihre Innovation und das große Engagement ihrer Mitglieder bekannt. So lag beispielsweise die Wahlbeteiligung bei einer Kirchenwahl bei ca. 23 Prozent - ein wohl einmaliges Ergebnis für eine Kirchenwahl.
So wurde ein neues Konzept für den Konfirmandenunterricht entwickelt, das die Konfirmanden mit Begeisterung annahmen. Diese Gemeinde blickte mit großer Zuversicht auf die Fusion mit der Neustädter-Marien-Gemeinde - wie viele Dinge würden sich dann erst umsetzen lassen!
Was für ein Schlag ins Gesicht, dass eine der ersten Aktionen der fusionierten Gemeinde war, die Paul-Gerhardt-Kirche zu verkaufen. Niemand schwebte wirklich in den Träumen, auf Dauer zwei Kirchen für eine Gemeinde erhalten zu können. Alles, was sich die Vertreter der Paul-Gerhardt-Gemeinde erbaten, waren ein paar Jahre, um ein gemeinsames Konzept der beiden Gemeinden auf den Weg zu bringen. Keine Zeit, hieß es. Und, was viel schwerer wog: keine Diskussion. Die Presbyter der Paul-Gerhardt-Gemeinde wurden weggewischt wie kleine, lästige Fliegen.
Wie viel Zeit ist seitdem verstrichen? Über zwei Jahre. Was ist seitdem geschehen? Die Kirche ist immer noch nicht verkauft. Sozial- und Gruppenarbeit der Gemeinde sind zerstört. An ein gemeinsames Konzept ist nun nicht mehr zu denken. Zu verhärtet sind die Fronten. Verständlich sind, nach allem was vorgefallen ist, die Positionen beider Gemeinden. Ein Zurück, ein Einlenken, gibt es nicht mehr, nicht mal unter Kirchenmenschen.
Verständlich ist die Position »die Kirche muss verkauft werden« durchaus - jeder weiß um die finanziellen und demographischen Probleme, vor denen die Kirchen heutzutage stehen. Und in unserer rationalen Welt, wo das Geld so sehr zählt, muss man nun mal nach diesen Regeln spielen, auch als Kirche.
Muss man? Muss man nicht. Es gibt Regeln, aber es muss auch Ausnahmen geben. Wie viel Engagement und Solidarität haben die Mitglieder der Paul-Gerhardt-Gemeinde gezeigt, wie offen haben sie sich zu ihrer Kirche bekannt und wie leidenschaftlich um sie gekämpft.
Wie viele solche Gemeinden gibt es heute noch? Und warum will man dann eine der wenigen, die den Menschen wirklich noch etwas bedeutet, auf Gedeih und Verderb schließen?

STEPHANIE MÜLLER
z. Zt. ESTELI

Machtkämpfe
statt Gottes Wort
Ebenfalls zum Thema Paul-Gerhardt-Kirche ging der folgende Leserbrief ein.
Früher habe ich ehrfürchtig aufgeschaut zu Kirchen und Pastoren, doch was wir in der letzten Zeit von der Kirchenleitung hören und sehen, macht vieles meiner Ehrfurcht zunichte! Meine Meinung über christliche Vorbilder der Nächstenliebe musste ich korrigieren. Im Augenblick sind Machtkämpfe an der Tagesordnung - Gottes Wort und die froh- und freimachende Botschaft des Evangeliums rücken weit in den Hintergrund.
Was zurzeit in der Paul-Gerhardt-Kirche abläuft, sprengt ja wohl den Rahmen alles bisher Gewesenen. Am Sonntag, 25. März, nahm ich an dem offiziell letzten Gottesdienst dieser Kirche teil. Die Protestanten, die schweigend protestierten habe ich bewundert! Natürlich waren sie sehr bewegt, denn »man« wollte ihnen ja ihre geistliche Heimat nehmen. Gemeinsam sangen wir auf dem Kirchplatz den Choral »Sonne der Gerechtigkeit« - ein passendes Lied.
Unpassend dagegen fand ich das Eingangswort von Pastor Menzel: »Wir wollen uns von dieser Kirche verabschieden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Ich dachte: Kennt der Pastor nicht das 2. Gebot: Du sollst den Namen des Herrn, Deines Gottes, nicht unnützlich führen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.
Schon im Oktober 2006 stolperte ich über einen Satz des selben Pfarrers: »Es sollen alle die Gemeinde verlassen, die nicht mit mir übereinstimmen!« Ungeheuerlich! Es würde circa 600 Personen betreffen!
Die Predigt der Superintendentin Frau Burg gefiel mir; es ging um das Lied: »Befiehl du deine Wege« von Paul Gerhardt - sicher kein Zufall! Dieses Trauerlied wurde bei näherer Betrachtung zu einem Vertrauenslied.
Nach dem Gottesdienst haben sich die Demonstranten in keinster Weise daneben benommen; sie wollen nur ihre Kirche erhalten und sind bereit, dafür Opfer zu bringen. Ich meine, sie brauchten Unterstützung, statt als Verrückte abgestempelt zu werden! Schlimm finde ich, dass nach dem Gottesdienst die Schlösser zu den Toiletten ausgetauscht, Strom und Wasser abgestellt und Gesangbücher, Krippe und Abendmahlskelch entfernt wurden. Warum werden diese enttäuschten Menschen wie Verbrecher behandelt?
Ein mir bekannter Pastor schrieb vor längerer Zeit: »Zuerst sollte sich der Kirchenkreis selbst kleiner setzen, das Haus der Kirche reduzieren, Stellen abbauen. Es ist ungerecht, wenn sich der Kirchenkreis nicht an Einsparungen beteiligt!« Die meisten Christen sind gern bereit, ihre Gemeinde mit Spenden zu unterstützen, wollen aber nicht mit Gewalt von der Kirchenleitung unterdrückt werden.
Im Juni 2006 habe ich mehrere Vorschläge zur Verbesserung der Finanzkrise an die evangelische Kirche gefaxt. Am nächsten Tag erhielt ich ein Fax mit Dank vom Pressesprecher, der die Vorschläge prüfen wollte - ob er es getan hat?
Nicht verstehen kann ich, dass sich so viele Pastore passiv verhalten und sich angesichts der Ungerechtigkeiten nicht äußern! Zumindest die im Ruhestand lebenden Pfarrer haben doch nichts zu verlieren.
Als ich in der Zeitung las, dass ein jüdischer Kantor die »Besatzung« der Paul-Gerhardt-Kirche besuchte und feststellte, dass es ein Unrecht ist, Christen ihr Gotteshaus zu nehmen, um es zu einer Synagoge zu machen, war es mir wie Osterglocken-Geläut. Mir fiel ein altes Kirchenlied ein, in dem es heißt: »Wann die Stunden sich gefunden, bricht die Hilf' mit Macht herein!«
Ich wünsche allen Beteiligten, dass sie bald gemeinsam beten: »Vergibt uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern . . . , denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.!
URSEL SCHNEIKER33619 BIELEFELD
Den Juden ein
Zuhause geben
Auch diese Zuschrift setzt sich mit dem Ringen um die Paul-Gerhardt-Kirche auseinander:
Sehr gut kann ich den Schmerz der Menschen der Paul-Gerhardt-Kirche verstehen. Ein Abschied ist immer sehr traurig.
Aber: wir befinden uns in einer Phase, in der viele Gemeinden zusammengelegt werden. Das ist leider nötig, wegen der sinkenden Mitgliederzahlen (darüber sollte man wirklich nachdenken und forschen, warum das so ist).
- man sollte doch froh sein, dass in diesem Gotteshaus auch weiter Gottesdienste gefeiert werden können. Das würde mich sehr freuen, weil ich den jüdischen Menschen Bielefelds von Herzen ein neues Zuhause wünsche. Ich kenne ihre beengte Situation und die Bilder der alten, zerstörten Synagoge erschüttern mich immer wieder. Ist es da denn nicht eine wunderbare Chance für uns Christen in Bielefeld, ihnen da zu helfen???
Wir sind uns bewusst, dass die Bibel ein jüdisches Buch ist, dass Jesus ein Jude war, dass die Schreiber der Bibel alle Juden waren, dass das Christentum im jüdischen Glauben seinen Ursprung hat. Durch das jüdische Volk haben wir Zugang zum Gott Israels. All das sollte uns mit großem Dank erfüllen. Sollte es uns nicht eine Ehre sein, ihnen ein Gotteshaus abgeben zu können? Es hätte mich wirklich traurig gestimmt, wenn dieses Gebäude zweckentfremdet genutzt würde. Aber als Synagoge - da bin ich begeistert und hoffe sehr, dass die Juden Bielefelds bald dort ein Zuhause haben, wo sie sich wohl fühlen können und sie auch Platz genug haben, dass wir sie mal besuchen können.
EVA-MARIA FALKENHAGENBIELEFELD

Artikel vom 04.04.2007