31.03.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Wort zum Sonntag

Von Pfarrer em. Hans-Jürgen Feldmann

Hans-Jürgen Feldmann ist Pfarrer im Ruhestand.

Mit dem morgigen Sonntag Palmarum, dem Palmsonntag, beginnt die Karwoche (von althochdeutsch: »kara« - Klage). In ihr vergegenwärtigt sich die Christenheit das Leiden Jesu Christi bis zu seinem Sterben am Kreuz. Anfangs allerdings, bei seinem Einzug in Jerusalem, sieht es fast noch aus wie auf einem Volksfest: Die Menschenmenge breitet vor ihm Palmzweige aus und huldigt ihm wie einem König. Doch sein Reittier, ein geliehener Esel, bildet einen merkwürdigen und makabren Kontrast dazu.
In den Schlußkapiteln der vier Evangelien des Neuen Testaments ist nachzulesen, wie sich dann das Drama der Passion, des Leidens Christi, immer stärker zuspitzt und in seinem Kreuzestod sein grausames und einsames Ende findet. Allerdings sind die Berichte der Evangelisten nicht mit Protokollen zu verwechseln, welche die Geschehnisse möglichst exakt und detailgetreu festzuhalten haben. Vielmehr sind sie eher Predigten vergleichbar, die sagen wollen, was Jesus für die Existenz des Menschen bedeutet, für sein Leben und Sterben, seine Problematik, seine Schuld, seine Hinfälligkeit und sein Vergehen.
Auf diese Weise erklären sich auch die Widersprüche zwischen den verschiedenen Darstellungen. Diese schließen sich dann nicht mehr scheinbar gegenseitig aus, sondern ergänzen einander. Denn es sind unterschiedliche Facetten dessen, wie ein und dasselbe Ereignis wahrgenommen und verstanden wird.
Beispielhaft dafür sind die sogenannten sieben Worte Jesu am Kreuz. Keines der Evangelien nämlich enthält sie alle zusammen. Es findet sich nur immer eine charakteristische Auswahl und gibt den Worten ihr jeweils eigenes besonderes Profil.
Die größte Übereinstimmung zeigen Markus, der früheste der Schreiber, und Matthäus, der des ersteren Vorlage ziemlich wortgetreu übernimmt. Nach beider Zeugnis spricht Jesus am Kreuz nur einen einzigen Satz, nämlich (Mark. 15,34 = Matth. 27,46): »Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Nach diesem Verständnis stirbt Christus in tiefster Einsamkeit, ja unter dem Eindruck, von Gott verlassen zu sein. Das will besagen: Er weiß sich denen am nächsten, die ebenfalls völlig am Boden liegen und Gott in unendlicher Ferne von ihrem Schicksal glauben. Er kennt dieses Gefühl der Verzweiflung ja aus eigener Erfahrung. Kundige Hörer dieser Stelle vernehmen allerdings auch, daß Jesus hier aus Psalm 22 betet. Er klagt Gott zwar seine Verlassenheit, aber er ruft ihn doch an und bittet ihn damit um seine Nähe.
Im Lukasevangelium wird Jesus als der große Versöhner geschildert. Er bittet für seine Feinde und bewahrheitet damit sein eigenes Gebot der Feindesliebe: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (Luk. 23,34)!« Er ist ferner Seelsorger an dem der beiden Mitgekreuzigten, der ihn um seinen Beistand bittet, und tröstet ihn mit der Zusage: »Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein (Luk. 23, 43).« Schließlich stirbt er selbst, versöhnt mit allem und in tiefstem Frieden, mit dem Wort aus Psalm 31 auf den Lippen: »Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände (Luk. 23,46)!«
Hoheitsvoll schließlich stirbt Christus nach den Worten des Evangelisten Johannes: »Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! und neigte das Haupt und verschied (Joh. 19,30).« Sein körperliches Leiden indessen wird durch solches Sprechen in gesammelter Ruhe nicht verharmlost; darauf verweist der Ausspruch: »Mich dürstet (Joh. 19, 28).« Insgesamt überwiegt jedoch der Eindruck von Überlegenheit und Fürsorge für die Seinen bis zum letzten Atemzug. Seine Mutter und einen seiner Jünger weist er nun in Verantwortung aneinander: »Frau, siehe, das ist dein Sohn! - Siehe, das ist deine Mutter (Joh. 26,27)!«
Die Verschiedenartigkeit der Evangelien ist auch ein Hinweis darauf, daß das Kreuz Jesu Christi ein Geheimnis ist, daß sich nie ganz lüften läßt, sich einem aber - z.B. im Laufe seines Lebens - auf unterschiedliche Weise zu erschließen vermag.

Artikel vom 31.03.2007