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Von Michael Diekmann

Bielefelder
Optik

Frühlingserwachen


Der Frühling ist die Zeit der Bilanzpressekonferenzen. Von Umsätzen ist die Rede, von Erträgen, von Innovationskraft und immer häufiger von immer größerer Präsenz auf den internationalen Märkten. Und plötzlich wird auch dem letzten Zauderer ostwestfälischer Licht unter den Scheffel-Mentalität klar, welch bedeutende Wirtschaftskraft in Bielefeld schlummert, wieviele Juwelen die Stadt in unternehmerischer Hinsicht besitzt, die den Namen »Global Player« verdienen.
Dr. Oetker hat zwar keine Pizza-Fabrik am Teuto, wohl aber die Denkfabrik, in der die Rezepte für die globale Pizza-Offensive gebacken werden. Und die traditionsreichen Backmittel stärken den heimischen Arbeitsmarkt. Die Werke Bielefeld und Oerlinghausen sind äußerst erfolgreich. Und die Tatsache, dass längst mehr als die Hälfte des Umsatzes in West- und Osteuropa erwirtschaftet wird, schmälert nicht die Personalstruktur in Bielefeld. Im Gegenteil: Expansion erfordert straffe Organisation in der Zentrale.
Die liegt übrigens auch bei Gildemeister in Bielefeld. Fast unbemerkt hat der Maschinenbauer die Position 1 in der Drehbranche übernommen - weltweit. Die Denkfabrik in Sennestadt boomt. Immer mehr Innovationen für immer mehr neue Märkte. Fast mit Siebenmeilenstiefeln werden Kontinente erobert. Rekordjahre in Serie bei einem Unternehmen mit 137-jähriger Geschichte. Gildemeister macht heute Schlagzeilen mit jährlich 40 Neueinstellungen allein in Bielefeld.
Fast unbemerkt ist an der Südseite des Grundstücks mit dem drehbaren Riesenkollektor für Sonnenenergie als neuem Geschäftsfeld ein echter Knüller zu sehen. Konzipiert, probiert, patentiert startet Konzernchef Dr. Rüdiger Kapitza mit den Kollektoren in eine sonnige Zukunft. Kapitza spricht auch von OWL-Maschinenbau. Vom Netzwerk mit der atemberaubenden Erfolgsgeschichte, an der längst mehr als 100 Unternehmen beteiligt sind. Sie machen beispielhaft vor, wie es geht: miteinander arbeiten, entwickeln. Schließlich sind die per Satellit gesteuerten Kollektoren allein aus Komponenten entstanden, die vorhandene Gildemeister-Kunden ohnehin auf Lager haben.
So ist das im gerade hochsensiblen Thema »Erneuerbare Energien« übrigens auch in Sachen Holzzerkleinerung, Turbinentechnik und Steuerungselektronik für Blockheizwerke aus erneuerbarer Energie. Bielefeld könnte sie seit Jahren mit Bordmitteln entwickeln, statt sich auf die Planung eines Steinkohlekraftwerks zu konzentrieren. Wichtig ist, wie auch in vielen anderen Fällen, die Grundvoraussetzung des miteinander Redens und voneinander Wissens. Und des miteinander Tuns. Gutes Beispiel: Biogas-Anlagen. Auch da ist die Technologiespitze in dieser Stadt ansässig und glänzt weltweit.
Ziel einer Stadt wie Bielefeld, ausgestattet mit einer Vielzahl unternehmerischer Erfolgsgeschichten, muss es sein, aus dem vorhandenen Potenzial neue Konzepte zu schmieden (siehe Gildemeister Solar). In dieser Stadt muss man weder auf den großen internationalen Neuansiedler warten noch auf den Verkauf einzelner Gewerbeparzellen setzen. Gefordert ist im globalen Wettbewerb um so mehr die neue Vision, Kräfte zu wecken für eine Zukunft der neuen Dimension.
Natürlich haben die von Möllers, Böllhoffs, Gildemeisters oder Boges ihre Zentrale in Bielefeld. Aber alle sind mit Produktionsstätten längst auf allen Weltmärkten angekommen. Wo Produktionskapazität ins Ausland geht, kann nicht nur Denkkapazität am Stammsitz auf Dauer ausreichen. Bielefeld braucht noch mehr neue Perspektiven und die Entschlossenheit, aus dem vorhandenen Potenzial einer nicht nur in Sachen Maschinenbau beispielhaften Region Stärke zu entwickeln. Jede einzelne Firmenbiographie mit eindrucksvollen Bilanzzahlen leistet einen Baustein zu einer echten Boom-Region. Und genau das könnte Bielefeld längst sein. Eine Bestandsaufnahme im Rathaus und ein Team mit kreativen Köpfen und Visionen sind gefragt. Für die Ebene Brot & Butter ist der wirtschaftliche Glanz der heimischen Unternehmen einfach viel zu schade.

Artikel vom 31.03.2007