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Bei Gildemeister dreht die
Sonne auch am Stromzähler

Am Stammsitz Bielefeld wird baulich neu strukturiert


Von Michael Diekmann
Bielefeld (WB). Auf dem morgendlichen Weg ins Büro fährt der Konzernchef gern einen kleinen Umweg. Dr. Rüdiger Kapitza hat nicht nur eine eigene »Stromfabrik«, Gildemeister hat sogar weltweit sämtliche Patente auf den so genannten »Sun-Carrier«. Der steht in der Gildemeister-Kurve zum Beckhof, dreht sein 250 Quadratmeter großes Kollektorfeld dank modernster GPS-Satellitensteuerung exakt nach dem Sonnenverlauf. Kapitza: »Diese Anlage macht Freude, verdient Geld und hat sich nach acht Jahren amortisiert. Weil sie sich mitdreht, ist sie 40 Prozent effektiver als starre Kollektoren.«
Die 36 000 KVA Leistung - sie reichen für 12 Einfamilienhäuser - gibt Gildemeister an die Stadtwerke ab, kassiert dafür die Einspeisevergütung. Kapitza, Gildemeister-Urgestein mit Lehre in den Siebzigern und zwölf Jahren als Vorstandschef, sieht enormes Wachstumspotenzial im Solargeschäft. Elf Anlagen sind bereits an Industriekunden verkauft, Kostenpunkt 200 000 Euro. Sämtliche Komponenten stammen von Gildemeister ohnehin vertrauten Partnern. Immerhin ist der weltweite Maschinenbau-Primus (Kompetenzzentrum Drehen ist Bielefeld, Zerspanen in Pfronten) in nahezu allen Sparten zuhause. Gildemeisters Dreh- und Span-Technologie sorgt für Hüftgelenke, Teile des Himmelslabors Skylab, für den BMW-Zehnzylinder in der Formel-I oder den Maschinenbau selbst. Der kauft als größter Abnehmer über 20 Prozent der Maschinen, mit denen der Konzern 2007 das beste Ergebnis der 137-jährigen Firmengeschichte erzielen will.
Der Wirtschaftskraft angemessen soll sich künftig auch das »Entree« der Bielefelder Zentrale präsentieren. Insgesamt fünf Millionen Euro investiert man in die bauliche und strukturelle Neuausrichtung des Werkes. Die Logistik ist zur Rückseite gewandert. Vorn entsteht die gläserne Wegespinne, die AG, Produktion, Entwicklung und Auslieferung für den Kunden verbindet. Kunden, freut sich Kapitza, kommen immer häufiger nach Bielefeld, wohnen gewissermaßen dem Entstehen ihrer individuellen Maschine bei. Kapitza: »Im Schnitt lässt der Kunde 270 000 Euro im Werk. Da muss der Auftritt entsprechend sein.« Was da mit den Spezialisten der Kunden aus der jeweiligen Maschine wird, nennt der Fachmann »customized«.
Der Großteil der Individualisierung erfolgt in Dalbke im weißen Hemd. Statt Maulschlüssel gibt es Internet. Ziel: Eine Maschine komplett von A bis Z am Rechner zu simulieren. Die Belegschaft in Bielefeld soll bis zum Jahresende auf 890 klettern, das sind 47 neue Jobs - nach 40 Neueinstellungen 2006, zur Hälfte für Produktion sowie Service und Entwicklung. Ingenieure sind gesucht, 65 schon heute tätig. Im Verbund mit dem OWL-Maschinenbau sichert jede Gildemeister-Stelle fünf Jobs bei Zulieferern. Kapitza: »Bei uns ist jeder Mitarbeiter absoluter Spezialist.« Und nirgends sonst werden mehr Diplomarbeiten und Praktika absolviert als bei Gildemeister.Wirtschaft

Artikel vom 30.03.2007