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»Die SPD-Unterschriftenaktion gegen die Union ist letztlich ein Bruch der Koalition.«

Leitartikel
Mindestlohn und mehr

Kurt Becks
Fahrplan
zur Macht


Von Jürgen Liminski
In Luxemburg ist der Mindestlohn am höchsten: 9,08 Euro. In Rumänien und Bulgarien liegt er unter einem Euro. Mit den 7,50 Euro, die SPD und Gewerkschaften fordern, lägen wir im oberen Mittelfeld, an siebter Stelle.
Doch der Vergleich trügt. In Luxemburg, Irland, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und Belgien gibt es weder Tarifautonomie noch starke Gewerkschaften. Die Lage in Deutschland ist anders, wir haben bereits den Mindestlohn. Er heißt nur anders: ALG II oder Hartz IV. Die Arbeitslosenhilfe oder die Sozialhilfe ist de facto unser Mindestlohn, denn darunter gibt es fast keine legale Arbeit.
Was bezweckt die SPD, wenn sie Druck auf den Koalitionspartner ausübt? Mit einer bundesweiten Unterschriftenaktion wollen SPD und DGB Mindestlöhne erzwingen. Es ist nicht nur illoyal von der SPD, die Straße gegen die eigene Regierung einzusetzen, es gleicht einer Erpressung, mithin einem Bruch der Großen Koalition. Kann man mit seinem Erpresser ein Vertrauensverhältnis entwickeln?
Es ist kein Geheimnis, dass die SPD in der Gesellschaftspolitik zwar mit Ursula von der Leyen höchst zufrieden ist, dies auch laut bekundet, schon um den Keil in der Union tiefer zu treiben, sich aber um die Früchte dieser Arbeit geprellt sieht, denn diese Früchte sind rot. Es ist auch kein Geheimnis, dass die SPD sich über die Regelung des Unterhaltsrechts ärgert, weil der Ehe vor den unverheirateten Paaren der Vorrang eingeräumt wurde. Justizministerin Brigitte Zypries hat gleich hinzugefügt, dass man es mit einem anderen Koalitionspartner ändern würde. Auch kein Geheimnis ist, dass die SPD sich ärgert, weil die Kanzlerin in der Sonne der Gipfeleien steht und Umfragewerte der Union deutlich über denen der SPD liegen. Ein Grund für die politische Guerrilla könnte also sein, das Ansehen der Kanzlerin zu beschädigen und gleichzeitig die Reihen mit den Gewerkschaften zu schließen - mit Blick auf die kommenden Wahlen.
Auch ein anderes Szenarium ist vorstellbar. Die Mehrheit der Union schmilzt nach dem Ausscheiden des CDU-Politikers Matthias Wissmann auf zwei Stimmen zusammen. Noch zwei Abgänge aus Ländern mit Überhangmandaten und der Anspruch auf das Kanzleramt ist dahin. Schon aufgrund der Bürgermeisterwahl in Mannheim kann es ganz eng werden.
Wenn es Beck gelingt, FDP und Grüne ins Boot zu holen oder auch die Grünen und die Linke, dann kann er per Misstrauensvotum Frau Merkel auch so vom Thron stürzen.
Dafür braucht es eine emotionale Stimmung, eine Agitation in der Öffentlichkeit, die sich mit den bekannten anti-amerikanischen Ressentiments (Raketenabwehr) und den Neidkomplexen der Deutschen (Mindestlohn) durchaus erzeugen und betreiben ließe. Erst recht, wenn sich die Lage im Iran noch weiter zuspitzt.
So könnte Becks Fahrplan zur Macht aussehen, und so würde aus der Schlacht um Mindestlohn eine Schlacht ums Kanzleramt und aus dem Mindestlohn der Judaslohn der Großen Koalition.

Artikel vom 29.03.2007