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Der Coup der katholischen Kirche gegen Nazi-Deutschland

»Mit brennender Sorge«: NS-kritisches Papstwort am Palmsonntag vor 70 Jahren

Von Reinhard Brockmann
Paderborn (WB). Am Sonntag vor dem Osterfest 1937 landete die katholische Kirche ihren möglicherweise weitreichendsten Coup gegen Nazi-Deutschland. Auch im Bistum Paderborn waren vermutlich hunderte unbekannte Helfer im Untergrund dabei.

Die sonst bestens informierte Staatsmacht war im Prinzip ahnungslos. Spitzelberichte hatten keinerlei Hinweise darauf geboten, dass das NS-kritische Papstwort »Mit brennender Sorge« zur Verlesung am Palmsonntag anstand. »Die Nazis waren geschockt«, erinnert sich Zeitzeuge Paul Schmandt aus Paderborn.
Die ausnahmsweise auf Deutsch betitelte Papst-Botschaft begann mit den Worten: »Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen...«
Solange die Nazis Opposition waren, hatte die katholische Kirche klaren Kontra-Kurs gehalten. Mit der Machtübernahme änderten die deutschen Bischöfe in Abstimmung mit Rom ihren Kurs, im Konkordat wurde mit der Zusage politischer Zurückhaltung das Fortbestehen kirchlicher Vereine und Einrichtungen erkauft.
Der dennoch steigende Druck seitens des im Kern glaubensfeindlichen NS-Staates ließ die Amtskirche zur alten Ablehnung zurückkehren. 1937 wurde das Jahr mit dem größten Verfolgungsdruck im Bistum Paderborn. 868 der 1401 Priester waren von Verfolgungsmaßnahmen betroffen, die dem Kirchenkampf zuzuordnen sind.
Die Kursänderung begann mit der Unterschrift von Papst Pius XI. am 10. März 1937 unter einer mit den deutschen Bischöfen abgestimmte Enzyklika. Insbesondere die Oberhirten aus München und Münster, Michael von Faulhaber und Clemens August Graf von Galen, hatten Vorarbeit geleistet.
Mitte März musste der Text heimlich an alle Gemeinden verteilt werden, da man Beschlagnahmung fürchtete. In vielen Diözesen erhielten nur die Geistlichen je ein Exemplar. In Münster, München und Speyer erschien die Enzyklika als Sonderdruck mit einer unter diesen Bedingungen sehr hohen Auflage. Insgesamt gehen Historiker von einer effektiven Verbreitung von 300 000 Exemplaren aus.
Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) erfuhr erst am Samstagnachmittag von dem Vorhaben. Ein Drucker händigte der Gestapo in München einen Abzug aus. Die Aktion war nicht mehr aufzuhalten. Eine Kraftprobe mit Kirchen vor Ort wollten die NS-Behörden nicht riskieren, zu groß war die Gefahr einer Niederlage und damit der Offenlegung der tatsächlichen Stimmungslage in katholischen Gebieten. Bei den letzten freien Wahlen 1932 etwa war die NSDAP in Paderborn unter zehn Prozent geblieben.
Noch am Vorabend des damaligen Palmsonntags informierte Gestapo-Vize Reinhard Heydrich Adolf Hitler und Heinrich Himmler. Die Polizei wurde angewiesen, die Verbreitung außerhalb des kirchlichen Bereichs streng zu ahnden und alle greifbaren Exemplare zu beschlagnahmen.
Die öffentliche Verlesung in 11 500 katholischen Gemeinden, teils im Hauptgottesdienst, teils in extra Nachmittagsandachten, verlief fast ungestört und hatte erwartungsgemäß eine große Wirkung auf die Gläubigen.
Zu den wenigen namentlich bekannten Helfern aus dem Erzbistum gehört der Jugendführer Josef Protte, der selbstgefertigte Kopien an der Kirchentür zum Verkauf anbot. In der vor den Nazis noch relativ sicheren Stadt blieb es bei dem Hinweis eines Amtmanns Klute an den Vikar, die Verbreitung der Enzyklika sei lebensgefährlich, man solle das lassen. Bekannt geworden ist auch das Berufsverbot für einen Allgemeinmediziner namens Dr. Egen aus Wattenscheid und die Vernehmung von zwölf Rentnern aus der Wittener Mariengemeinde.
Es habe damals viel Mut dazu gehört, sich als Christ zu bekennen, sagt Peter Möhring (74), pensionierter Studiendirektor aus Bad Driburg. »Der Papst sprach aus, was gläubige Katholiken empfanden.« Auch wenn die Enzyklika an den Verhältnissen nichts zu ändern vermochte, so habe sie dennoch eine befreiende Wirkung entfaltet. Das Schreiben sei ein herausragendes Zeugnis des vom NS-Regime entfesselten Kirchenkampfes. Darüber hinaus enthalte es Aussagen von grundsätzlicher Bedeutung. Der Versuchung, sich zum Maßstab aller Dinge zu machen, drohe der Mensch immer wieder von neuem zu erliegen.

Artikel vom 31.03.2007