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Die Idylle muss der Autobahn weichen

29 Häuser im Bielefelder Süden betroffen - Hof mit langer Geschichte wird abgerissen

Von Stefanie Westing
und Markus Poch (Fotos)
Brackwede/Senne (WB). Die Vögel zwitschern, die Sonnenstrahlen lassen die Oberfläche des Teiches glänzen, die Blumen blühen. Mit dieser Idylle wird es auf dem Hof Hambrink an der Brackweder Winterstraße und in der näheren Umgebung bald vorbei sein. Durch das stille und beschauliche Fleckchen Land wird die Autobahn 33 führen.

Gestern lehnte das Oberverwaltungsgericht Münster den dritten und letzten Eilantrag gegen den Weiterbau der Autobahn 33 im Bielefelder Süden ab. Damit machte es den Weg für den Abschnitt 5 b frei (Berichte auf den Seiten »Politik« und »Nordrhein-Westfalen«). Betroffen sind im Bielefelder Süden 29 Häuser und Höfe, die abgerissen wurden oder werden. Die Gebäude an der Winterstraße, in denen Hella Hambrink (43), Sohn Chris (13), Lebensgefährte Frank Berning (42), ihre Schwester Erika (42), ihr Vater Siegfried (73) und Mutter Hanna (69) wohnen, gehören dazu. Ebenso sieben Hektar Land, die an den Landwirt Siegfried Wißbrock (48) aus Senne verpachtet sind. »Ich fühle mich, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen«, sagte Hella Hambrink gestern.
Die Eilanträge ihres Vaters und des Landwirtes Siegfried Wißbrock hatte das Oberverwaltungsgericht Münster bereits in der zweiten Februarhälfte abgewiesen (das WESTFALEN-BLATT berichtete). Der Antrag, über den gestern entschieden wurde, war der dreier Privatpersonen, die gewissermaßen als Musterkläger für die Umweltschutzinitiative Senne auftraten. Ihr Rechtsanwalt Rüdiger Nebelsieck aus Hamburg zeigte sich von der Entscheidung aus Münster enttäuscht: »Wir waren der festen Überzeugung, dass es Fehler in der Planung gibt.« Er und seine Mandanten hatten gehofft, dass das Oberverwaltungsgericht Münster in diesem Fall anders als im Februar entscheiden würde. Schon weil nicht alle drei Eilverfahren zeitgleich abgelehnt wurden, waren nach Aussage des Anwaltes entsprechende Spekulationen angestellt worden. Er werde nun mit seinen Mandanten besprechen, ob in einem Hauptverfahren der Angriff auf die Planungen insgesamt aufrecht erhalten werden soll, oder ob man sich »nur« für Aspekte wie einen besseren Schallschutz und faire Grundstückspreise einsetzen werde.
Während seine drei Mandanten für den 7,8 Kilometer langen und mit 87 Millionen Euro veranschlagten Autobahn-Abschnitt Teile ihrer Anwesen abtreten müssen, so dass die A 33 demnächst praktisch durch den Vorgarten führt, muss sich die Familie Hambrink eine neue Bleibe suchen. Besonders bitter: Die Ursprünge des Hofes lassen sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen, so dass hier ein Stück Geschichte verloren gehen wird. »So etwas finden wir nie wieder«, befürchtet Hella Hambrink.
Sie ist auf dem Grundstück aufgewachsen, erinnert sich noch gut daran, wie sie mit ihrer Schwester als Kind Buden gebaut hat oder bei der Erdbeer-Ernte helfen musste. »So lange ich lebe, gab es immer Überlegungen, ob wir bestimmte Dinge noch angehen, ob sie sich noch lohnen. Denn schon als meine Mutter vor 45 Jahren auf den Hof kam, hieß es, 1970 soll die Autobahn fertig sein.« Nun müssen sie also tatsächlich bald die Koffer packen und Abschied nehmen. Wann es so weit ist, weiß die 43-Jährige noch nicht genau. Aber: Vorgestern haben Mitarbeiter des Landesbetriebes Straßen NRW den Wert des Besitzes geschätzt. »Man hat uns zu verstehen gegeben, dass wir uns sputen sollen, etwas Neues zu suchen.« Gern würden Hella Hambrink und Familie in der Nähe bleiben. Denn: »Einen alten Baum verpflanzt man nicht so einfach.«
Seit dem Jahr 2000 sind die zum Hof gehörenden Flächen an Siegfried Wißbrock verpachtet. Er verliert nicht nur diese Felder, sondern weitere angepachtete Flächen, einen Teil seiner Eigentumsflächen, und bekommt die Autobahn etwa 200 Meter vor seine Haustür gelegt. »Ich hatte diese Entscheidung befürchtet, aber ein bisschen Hoffnung bestand noch, dass das Oberverwaltungsgericht Münster zu unseren Gunsten entscheidet«, sagte der dreifache Familienvater gestern. Er rechnet mit einem baldigen Besuch der Mitarbeiter des Landesbetriebs Straßen - schaut aber trotzdem nach vorn: »Es muss ja irgendwie weitergehen.«

Artikel vom 29.03.2007