28.03.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Der süße Eisbär Knut
ist bald zu vernaschen

WWF sieht »völlige Verkitschung eines wilden Tieres«

Von Dietmar Kemper
Berlin/Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Plüschtier, Kinderlied, Süßigkeit: Eisbär »Knut« wird jetzt vermarktet. »Wir erleben die völlige Verkitschung eines wilden Tieres«, sagte Jörn Ehlers von der Umweltorganisation WWF dieser Zeitung.

Dem World Wide Fund For Nature gehe es um den Erhalt von Arten, nicht um einzelne Tiere, erklärte Ehlers und mahnte dazu, den Blick auf »Knuts Brüder« zu lenken. Denen tauten wegen der Klimaerwärmung die Eisschollen unter den Pfoten weg. »Die Hälfte der Eisbärjungen verhungert oder wird von den Müttern verstoßen«, sagte der WWF-Sprecher. Weil das Eis im Frühling früher schmilzt und im Herbst später als gewöhnlich friert, wird die Zeitspanne, in der sich die Bären auf dem Packeis aufhalten und Energiereserven für die eisfreie Zeit anfressen, immer kürzer. Heute sei das arktische Eis im Sommer 40 Prozent dünner als noch vor 30 Jahren. Jede Woche, die die Bären früher an Land gehen müssen, bedeuteten zehn Kilogramm weniger auf den Rippen, rechnet der WWF vor. Die schlechte körperliche Verfassung der Weibchen gefährde ihre Fortpflanzungsfähigkeit.
Statt auf die 22 000 Eisbären in der Arktis gucken Deutschland und die Welt nur auf Knut. Heute kommt das Lied »Knut ist gut« auf CD in den Handel. Der Song, der auch ins Italienische, Französische und Englische übersetzt werden soll, sei eine Art Kinderlied für Erwachsene und Eisbärfans, betonte gestern der Texter Mike Pyczak von Pool-Music in Berlin.
Der Berliner Zoo, der am Wochenende 2400 Plüschbären verkaufte, hat sich den Eisbärnamen Knut mittlerweile als Marke schützen lassen. Die Freude über Knut überdeckt die Trauer nach dem plötzlichen Tod der Pandabärin Yan Yan wegen Darmverstopfung.
Knut zum Naschen bietet Goldbären-Hersteller Haribo. Noch in dieser Woche soll der Schaumgummi-Eisbär »Knuddel-Knutsch« in den Regalen liegen.
Vermarktung und Medienrummel sieht Fritz Wurms, Chef vom Zoo Hollywood- und Safaripark Stukenbrock, nicht als Problem an. »Jede Berichterstattung weckt das Interesse der Menschen an einer Beschäftigung mit der Natur und Tierwelt«, sagte er gestern dieser Zeitung und ergänzte: »Die weißen Tiger und Löwen sind unsere Knuts.« Zehn davon seien mit der Flasche aufgezogen worden. Egal ob kleiner Tiger oder Eisbär: »Die Besucher möchten T-Shirts und Plüschtiere kaufen.« Zoos bräuchten das Geld, um in die Parks investieren zu können.
Der WWF sieht Parallelen zwischen Knut und dem Schwertwal Willy. Nach dem Kino-Film 1993 über die Freundschaft des Jungen Jesse mit dem Wal im Vergnügungspark sammelten Tierfreunde neun Millionen Dollar für die Freilassung. Weil nicht an das Leben in Freiheit gewöhnt, starb »Keiko« vor der Küste Norwegens an Lungenentzündung. Wenn der Rummel um Knut für mehr Interesse an den Lebensbedingungen seiner Artgenossen sorge, hätten seine »Brüder etwas davon«, sagte Jörn Ehlers (WWF).

Artikel vom 28.03.2007