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»Die, die im
Stillen wirken, bewirken in aller
Regel auch am meisten.«

Leitartikel
Afghanistan-Hilfe

Rückkehr
ins
Risiko


Von Reinhard Brockmann
Deutsche Welthungerhilfe macht weiter. Sie wird ihre Entwicklungsprojekte in Afghanistan auch nach dem vor zwei Wochen verübten Mord an dem Ingenieur Dieter Rübling (65) fortsetzen. Das klingt nach Rückkehr zur Normalität - dabei ist das Gegenteil der Fall.
Alle 25 »internationalen«, meist deutschen Mitarbeiter in Afghanistan, waren nach dem vermutlich politisch motivierten Anschlag nach Kabul beordert worden. Allen wurde angeboten, ihr Engagement sofort abzubrechen und heimzukehren. Wie es aussieht, haben alle 25 beschlossen weiterzumachen. Respekt und Anerkennung dafür.
Man stelle sich den umgekehrten Fall vor: Eine der großen internationalen Hilfsorganisationen sähe sich gezwungen, Afghanistan aufzugeben und das Land sich selbst und seinen riesigen Problemen zu überlassen! Das wäre eine Katastrophe, eine Kapitulation des Westens, ein Abrücken vom großen Ziel der Hilfe zur Selbsthilfe.
Die Bonner Organisation steht stellvertretend für ein gutes Dutzend weiterer Hilfswerke, das mutig und entschlossen, gestützt auf Spenden und Steuergelder aus Deutschland, in brisanter Mission tätig ist.
Ob Katastrophenhilfe, Caritas oder Rotes Kreuz, sie alle bauen Brücken, schulen Frauen und Kinder und betreiben Gesundheitsstationen. Alle helfen auf ihre Art den Menschen am Ort, die Zerstörungen und Wunden aus Kriegen und Krisen zu heilen, die seit 1980 das Land verwüsten. In Sachen Wiederaufbau sind sie die wahren und besten Botschafter, die Deutschland zu bieten hat.
Ingeborg Schäuble, die Vorstandsvorsitzende der Welthungerhilfe, hat in einem persönlichen Brief an Freunde und Förderer offen auf das enorme Risiko der Mitarbeiter draußen hingewiesen. Seit langem arbeiteten die Helfer in Afghanistan unter den strengsten Sicherheitsvorkehrungen, die je für einen Einsatz in einem Krisenland erarbeitet und getroffen wurden. Alles Erdenkliche werde für den Schutz getan. Schäuble: »Trotzdem müssen wir die jetzt noch kompliziertere und angesichts der verschiedenen Drohungen gegen Deutschland risikoreichere Situation neu bewerten.«
Der Ausnahmezustand ist Dauerzustand. Der Fall Rübling wirft ein Schlaglicht darauf. Viel zu selten wird hierzulande gesehen, dass es neben dem extrem aufwändigen und teuren Bundeswehreinsatz einige hundert »zivile« Deutsche gibt, die ohne Splitterweste und Schutzhelm am Hindukusch Großes leisten. In aller Regel sind sie sehr viel näher bei den Menschen, um die es geht.
»Wir lassen die arme und Not leidende Bevölkerung in Afghanistan nicht im Stich« ergänzte gestern Hungerhilfe-Generalsekretär Hans-Joachim Preuß. Alles läuft weiter, einzig die Projekte in Sar-i-Pul, wo es zu dem Mord kam, wird im Mai abgeschlossen.
Es gibt keine Konkurrenz zwischen Helfern in Uniform und Praktikern in Zivil. Es gibt aber ein Defizit in der Wahrnehmung. Tatsache ist, dass die, die im Stillen wirken, in aller Regel am meisten bewirken.

Artikel vom 27.03.2007