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Kontra: Sortieren
hilft Kindern nicht

Sigrid Beer (Grüne): Aus Pisa lernen

Die Hauptschule sitzt in der Systemfalle. Dagegen können die Kollegien dort mit noch so viel Engagement und guter Arbeit nicht bestehen. Die NRW-Schulministerin musste schon 2006 trotz Hauptschuloffensive eingestehen: Viele Schulstandorte sind in ihrer Existenz gefährdet.
Sigrid Beer, Diplom-Pädagogin, Gesamtschulstreiterin und grüne Landtagsabgeordnete aus Paderborn

Weder für Eltern und ihre Kinder noch für Lehrkräfte ist die Hauptschule noch die Wunsch-Schule. Die Anmeldungen in diesem Februar haben den Trend verstärkt.
Kommunen drohen ihre Schulstandorte zu verlieren, ein deutlicher Nachteil im Wettbewerb um die Ansiedlung junger Familien, für das kommunale Leben insgesamt, den Fachkräftemarkt und die Unternehmensansiedlung. Die demografische Entwicklung mit sinkenden Schülerzahlen und die pädagogische Verantwortung für die Menschen an der Hauptschule zwingen zum pragmatischen Blick auf das gegliederte Schulsystem. Die CDU in Hamburg schafft die Hauptschule ab, die CDU in Schleswig-Holstein und Sachsen führen die Gemeinschaftsschule ein. Selbst in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern wird mehr oder weniger offen an einem Schulsystem ohne Hauptschule gearbeitet. Nur Schwarz-Gelb in NRW hat noch Scheuklappen auf.
Zuletzt untermauerte das Wirtschaftsforschungsinstitut ifo die Kritik des UN-Menschenrechtsbeauftragten Muñoz am gegliederten Schulsystem: Es ist leistungsfeindlich, ausgrenzend, zutiefst ungerecht und sozial selektiv. Der Geldbeutel der Eltern oder ihre Herkunft bestimmen über den Bildungserfolg der Kinder. Bildungspotentiale werden systematisch vernachlässigt. Auf dem veränderten Arbeitsmarkt brauchen Jugendliche aber mehr Kompetenzen und höhere Bildungsabschlüsse, um ihr Leben gestalten zu können.
Bei uns dagegen werden Kinder mit 9 bis 10 Jahren nach längst überholten Begabungsvorstellungen in Schulformschubladen eingeteilt, sozial sortiert und beschämt. Es gehen positive Orientierungsmöglichkeiten und Lernchancen verloren. Denn Lernstarke wie die Lernschwächere profitieren, wenn die Vielfalt der Schüler genutzt wird. Gemeinsam zu lernen heißt nämlich nicht, im Gleichschritt zu marschieren, sondern verschiedene Lernwege zu gehen, sich immer wieder auf Kreuzungen zu treffen und von den unterschiedlichen Erfahrungen für Problemlösungen zu profitieren. Wir sollten endlich die Pisa-Studien als Chance begreifen. Sie zeigen, dass es funktioniert: Chancengleichheit und hohe Leistung, das sind zwei Seiten einer Medaille.
Wer wirklich individuell fördern will, braucht kein Sortieren von Kindern in Schulformschubladen. Die Hauptschule braucht auch die falschen Fürsprecher aus dem Gymnasial- oder Realschulbereich nicht mehr, die mit der Hauptschule die Möglichkeit zum Abschieben von Schülern verlieren. Genau so gilt jedoch: Mit dem Zusammenführen der Schülerinnen müssen Fortbildungsangebote für Lehrkräfte einhergehen. Sie müssen lernen, mehr im Team zu arbeiten, ihre Arbeit anders zu strukturieren, damit sie mehr direkt für die Schülerinnen und Schüler da sein können. Dazu gehört auch, dass ein verlässliches Unterstützungssystem für die Schulen begleitend aufgebaut wird. Sozialarbeit, schulpsychologische und sonderpädagogische Kompetenz, um so früh wie möglich unterstützen zu können, gehören in jede Schule.

Artikel vom 24.03.2007