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Wenn die Karriere durch den Schornstein geht

Heute Kollege, morgen Chef: Der direkte Aufstieg kann Probleme bereiten - Führungserfahrung fehlt

Von Manfred Godek
Bielefeld (WB). Ingrid E., Disponentin bei einem süddeutschen Getränkelogistiker, hatte das große Los gezogen: Überraschend wurde sie zur Innendienstleiterin befördert. Beim Glas Sekt versprach sie ihren Kollegen überschwänglich, Gutes zu tun.
Rüdiger Kapitza hat mit Ausbildungen zum Maschinen-/Anlagentechniker und Industriekaufmann begonnen. Jetzt ist er Vorstandsvorsitzender der Gildemeister AG.
Eine Trennwand fürs Großraumbüro, neue Pausenzeiten - dies brannte allen schon lange unter den Nägeln. Zwei Jahre brauchte sie schließlich, um das Versprochene bei der Geschäftsleitung durchzusetzen. Die neue Vorgesetzte hatte gleich am Anfang ihre Autorität aufs Spiel gesetzt. Das passiert häufig beim so genannten »Kamin-« oder »Schornsteinaufstieg«. So bezeichnen Personalfachleute die Situation, wenn jemand aus dem Kreis seiner Kollegen zu deren Chef aufsteigt. Für den Betreffenden ist es nicht einfach, sich in seiner neuen Rolle zurechtzufinden.
Organisatorisch hat es natürlich viele Vorteile, wenn der »Neue« aus dem gleichen Bereich kommt. Er kennt das Geschäft und die Kollegen. Seine fachliche Kompetenz ist in der Regel unumstritten. Und dass die Einarbeitungszeit entfällt, wird von den Firmenleitungen besonders gern gesehen. Kurzum: Das Geschäft läuft reibungslos weiter - so scheint es. Doch schneller als alle Beteiligten denken, kann es zu Problemen kommen. »Die Meisten haben keinerlei Führungserfahrung«, sagt Dr. Rolf Schulz, Spezialist für Organisationsberatung, Personalentwicklung und Personalauswahl aus Baden-Baden.
Leichtfertige Versprechen wie im Fall von Ingrid E. gehören zu den häufigsten Fehlern. Sie bestärken die Hoffnung der Mitarbeiter auf einen »kameradschaftlichen« Chef, der ja schließlich »einer von uns« sei. Unter diesem Erwartungsdruck tut sich der neue Vorgesetzte besonders schwer, unangenehme Entscheidungen zu treffen. Rolf Schulz: »Notwendige Veränderungen werden nicht konsequent genug verfolgt.« Andere Kollegen fühlen sich übergangen, sind vielleicht neidisch auf den Erfolg. Sie ziehen sich zurück oder boykottieren sogar die Arbeit des Neuen. Nach und nach stellen die Firmenleitungen fest, dass der vermeintlich »neue Besen« gar nicht gut kehrt.
Beim Kaminaufstieg sind die Anforderungen an die persönliche Autorität und Motivationsfähigkeit besonders hoch. Viele machen in dieser Phase einen entscheidenden Fehler: Sie erwecken den Eindruck, durch den internen Führungswechsel ändere sich im Grunde nichts, und neutralisieren sich dadurch selbst. Verantwortlich sind nach Meinung von Personalexperten allerdings auch die Firmenleitungen. Diese müssten ihre Kandidaten in der Anfangsphase besser unterstützen.
Kaminkarrieren trifft man besonders in kleinen und mittleren Unternehmen an. Früher waren sie auch in Konzernen gang und gäbe. Inzwischen müssen Manager erst einmal in verschiedenen Geschäftsbereichen und Funktionen Erfahrungen sammeln, bevor man ihnen eine Führungsaufgabe zutraut. Im westeuropäischen Ausland werden obere und Top-Führungspositionen fast ausschließlich durch horizontale Wechsel besetzt. Berater Schulz: »Dahinter steht die Philosophie, dass eine breit angelegte Karriere im Unternehmen General-Management-Kompetenzen fördert.«

Artikel vom 28.04.2007